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Ein Start-up zerlegt verstärkte Kunststoffe
Autos stecken voller Kunststoff-Bauteile, die grossen Belastungen standhalten müssen. Genau solchen schwierig abbaubaren Kunststoffen rückt das Start-up SECARA zu Leibe. Es verwendet dafür Katalyse-Techniken, die in den Labors des WSS-Forschungszentrums «catalaix» entwickelt werden.
Verpackungen, Baumaterialien, Textilien, Autoteile: Kunststoffe sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch so nützlich Plastik ist: Er verursacht auch enorme Umwelt- und Klimaprobleme: Fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus der Kunststoff-Produktion. Am Ende ihrer Lebensdauer werden die meisten Kunststoffprodukte entweder verbrannt oder in Mülldeponien abgelagert. Nur etwas mehr als zehn Prozent der weltweiten Plastikabfälle werden rezykliert.
«Der Fokus heutiger Recycling-Methoden liegt auf Standard-Kunststoffen wie Polyethylen oder PET», sagt Fabian Nagel, Mitgründer und verantwortlich für die kommerzielle Unternehmensentwicklung von SECARA. Dieses Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, Recyclinglösungen für sogenannte technische Kunststoffe wie Polyamide oder Polycarbonate zu entwickeln, die schwieriger abbaubar aber ungleich wertvoller sind als Standard-Kunststoffe. Diese hochwertigen Industriematerialien im Kreislauf der europäischen Volkswirtschaften zu erhalten ist die Vision des Startups.


Gelingen soll dies mithilfe neuartiger Katalysatorsysteme: SECARA ist eine Ausgründung aus der Forschungsgruppe von Professorin Regina Palkovits, der Co-Leiterin des WSS-Forschungszentrums «catalaix» an der RWTH Aachen. Herangereift ist die Idee im Rahmen der Masterarbeit und der Promotion von Marcus Lehnertz, Mitgründer und verantwortlich für die technische Entwicklung von SECARA. «Anfangs fokussierte ich mich auf den Abbau von Bio-Kunststoffen», erzählt er. Diese sind einfacher rezyklierbar als herkömmliche Kunststoffe und dienten ihm deshalb als ideale Modellsubstrate.
Aufgrund des Erfolgs begann er im Jahr 2023, die Forschungsergebnisse auf technische Kunststoffe zu übertragen. 2024 startete der Aufbau von SECARA. Zum Gründungs- und Leitungsteam gehört neben Lehnertz und Nagel auch Jan Uecker. Er ist für die Prozesskonzeption und die Anlagenskalierung zuständig. «Somit verfügen wir über alle notwendigen Kompetenzen im Gründungsteam», sagt Fabian Nagel.
Chemische Zerlegung
Aus Geheimhaltungsgründen können die drei Gründer noch nicht im Detail erläutern, wie das SECARA-Recycling funktioniert. Dem Team ist es aber gelungen, eine Reaktionsplattform zu entwickeln, mit der sich auch technische und verstärkte Kunststoffe präzise in ihre Grundbausteine, sogenannte Monomere, zerlegen lassen. Diese Monomere können wieder verwendet werden, um neue Kunststoff-Ketten zu bauen, die sogenannten Polymere.
«Unser oberstes Ziel ist der chemische Abbau des Kunststoffes bei grösstmöglichem Werterhalt», erklärt Marcus Lehnertz. Man könne sich die Katalysatoren als eine Art Messer vorstellen. Sie erlauben es, chemische Bindungen des Kunststoffs präzise und schnell zu durchtrennen. «Aber», sagt Lehnertz, «dieses Messer darf nicht ausser Kontrolle geraten, sonst würde es den Kunststoff nicht nur an den erwünschten Schnittstellen, sondern komplett zerlegen.»
Bei einer solchen Komplettzerlegung ginge der Wert des Kunststoffs verloren. Zudem müsste viel mehr Energie investiert werden, um aus den Ausgangsteilen neue Kunststoffe zu bauen. Insgesamt, schätzt Lehnertz, lassen sich dank der neuen Recyclingmethode – mit dem heutigen deutschen Energiemix gerechnet – ungefähr 60 bis 70 Prozent der CO2-Emissionen einsparen, die für die Produktion entsprechender Kunststoffe nötig sind. Bei Nutzung grüner Energie ist sogar eine vollständige Dekarbonisierung möglich.
Kunststoffe im Auto
Ihren ersten Fokus setzen die Jungunternehmer auf das Recycling von Polyamiden. Diese äusserst beständigen, hochwertigen Kunststoffe werden unter anderem in der Automobilindustrie eingesetzt für Bauteile, die hohen Belastungen und Temperaturschwankungen standhalten müssen. Der von SECARA entwickelte Prozess ist in der Lage, Polyamide in ihre Bausteine abzubauen. Das häufig industriell verwendete Polyamid 6 wird so beispielsweise wieder zu seinem Baustein ε-Caprolactam. Das gelingt auch für Ausgangsstoffe, in denen das Polyamid mit Russ gefärbt und mit Glasfasern verstärkt ist. «Unser Prozess ist in der Lage, das Monomer in Industriequalität zu erzeugen und von Russ und Glasfasern zu trennen», sagt Marcus Lehnertz.
Nun gilt es, diesen Prozess auf grössere Massstäbe zu skalieren. Dazu plant das Startup aktuell die Errichtung einer Pilotanlage mit einem grossen Kooperationspartner. «Eine solche Anlage könnte pro Jahr im relevanten Tonnenmassstab Kunststoff verarbeiten», sagt Jan Uecker. «Wir haben den Vorteil, dass unsere Katalysen ohne problematische chemische Lösungsmittel oder Säuren auskommen», sagt Uecker. «Mit anderen Methoden entstünden beispielsweise Nebenprodukte wie Salze und wir bräuchten einen korrosionsbeständigen Reaktor, etwa aus Titan, was die Kosten in die Höhe treiben würde.»



Rasch in Anwendung kommen
Die Anbindung an die RWTH Aachen und ans WSS-Forschungszentrum «catalaix» ist für SECARA ideal. So gehört das Start-up seit Mai 2024 dem Chemie-Inkubator QuinCat im Sammelbau Chemie der RWTH Aachen an. Zudem hat es die Zusage für das renommierte Gründungsförderungsprogramm EXIST Forschungstransfer erhalten, um seine Prozesse weiter zu skalieren. Und im Rahmen des «catalaix»-Förderprogramms JUMP profitiert das Startup seit Juli 2025 von Unterstützung, um seine Technologie auf weitere Kunststoffe zu erweitern.
Der parallele Ansatz, vielversprechende Katalyseprozesse rasch industriell zu skalieren und gleichzeitig an weiteren Anwendungen zu forschen, ist dem SECARA-Gründungsteam wichtig. «Wir wollen nicht vier oder fünf Jahre ausschliesslich Laborforschung betreiben – und dann schaffen wir den Sprung in die industrielle Anwendbarkeit nicht», sagt Fabian Nagel. Und Marcus Lehnertz ergänzt: «Diese verschiedenen Herausforderungen tragen zwar zur Komplexität unserer Arbeit bei, aber es macht auch sehr viel Spass – vor allem im Team.»
Das Interesse ist vorhanden
Die drei Gründer sind optimistisch, dass ein Markt für eine Kreislaufwirtschaft mit hochwertigen Kunststoffen besteht. «Etablierte Marktteilnehmer bestätigen, dass es ein starkes Interesse an rezyklierten Monomeren gibt – im Hinblick auf gesetzliche Vorschriften, aufgrund des CO2-Preises oder um die Abhängigkeit der europäischen Lieferketten zu vermindern», sagt Fabian Nagel.
Das Potential ist gross: Jedes Jahr werden mehrere Millionen Tonnen dieser technischen Kunststoffe produziert und finden ihren Weg in Abfallströme wie schrottreife Autos. Die Chancen stehen also gut, dass erste Ergebnisse aus dem WSS-Forschungszentrum «catalaix» schon bald mithelfen, die industrielle Kunststoffproduktion nachhaltiger zu machen.
