Medizinstudentin mit Dreistufen-Plan

Einst war Flora Chiper Eiskunstläuferin, heute forscht sie an der Regeneration von Knorpelgewebe und vertritt die Schweizer Jugend bei den Vereinten Nationen. Dieses Jahr hat die vielseitig begabte Medizinstudentin zudem ein Exzellenz-Stipendium der Werner Siemens-Stiftung erhalten.

 

Wer so viel um die Ohren hat wie Flora Chiper, muss gut organisiert sein. Die 23-Jährige studiert Medizin an der Universität Basel, forscht zur Regeneration von Gelenksknorpel, engagiert sich als UNO-Jugenddelegierte der Schweiz und im Verein Reatch, um Brücken zwischen Gesellschaft und der Wissenschaft zu bauen. Es erstaunt deshalb nicht, dass der Wochenkalender auf ihrem Laptop in allen Farben leuchtet. «Damit alles aufgeht, plane ich so ziemlich jedes Detail», sagt Chiper und lacht.

Dass Flora Chiper etwas mehr Beschäftigung braucht als andere Menschen, um ausgelastet zu sein, zeigte sich schon früh. Die Schule fiel ihr leicht, weshalb sie viel Zeit für Hobbys aufwendete, die von ihrem Elternhaus geprägt waren: Ihr Vater stammt aus Rumänien und ist ein ehemaliger Eiskunstlauf-Profi; ihre Mutter, eine schweizerisch-australische Doppelbürgerin, arbeitet als Choreografin und Leiterin einer Tanzschule. Flora stand schon als kleines Mädchen auf den Schlittschuhen – und gehörte ab dem Alter von 14 Jahren dem Schweizer Eiskunstlauf-Nationalteam an. Sie tanzte als Kind aber auch Ballett auf hohem Niveau und brachte es im Klavierspiel weit. Ab der Oberstufe besuchte sie das Kunst- und Sportgymnasium Rämibühl in Zürich. «Sport und Kreativität standen in meiner Kindheit im Vordergrund», sagt sie.

Weltreise und Forschungsaufenthalt

Trotzdem scheint sich in ihr schon früh der Wunsch geregt zu haben, Ärztin zu werden. «Kürzlich fand ich einen Aufsatz, den ich mit elf Jahren geschrieben hatte», erzählt Chiper. «Wir mussten eine Klassenzusammenkunft mit 30 Jahren beschreiben – ich schrieb, ich sei Ärztin.» Gegen Ende der Kantonsschulzeit wurden ihre Berufswünsche klarer. «Ich merkte, dass ich Menschen helfen möchte und dass ich die Medizin ein spannendes Feld finde», sagt Chiper. Gleichzeitig traten erste Verletzungen auf und der Wille, weiterhin so intensiv zu trainieren begann zu schwinden. «Ich trainierte damals etwa 20 Stunden pro Woche, aber mit 17 begannen die Leistungen aufgrund verschiedener Faktoren zu stagnieren.»

Nach der Matura ging Chiper auf eine Weltreise und lernte in Australien unter anderem surfen, tauchen, besuchte eine Schauspielakademie und half in einem australischen Eiskunstlauf-Verein mit. Zurück in der Schweiz absolvierte sie den Bachelorstudiengang der Humanmedizin an der ETH Zürich. Für das Masterstudium wechselte sie nach Basel. Zuvor aber konnte sie einen viermonatigen Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School in Boston (USA) auf jenem Gebiet machen, das es ihr besonders angetan hat: die Geweberegeneration, insbesondere jene von Knorpelgewebe.

Knorpelgewebe in den Gelenken wächst nicht nach. Ist es im Knie- oder Hüftgelenk abgenutzt, beispielsweise durch eine Arthrose, machen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen oft einen Gelenkersatz nötig. Chiper untersuchte in der Harvard-Forschungsgruppe von April Craft, wie sich pluripotente Stammzellen zu Knorpelzellen entwickeln. «Die Forschungsidee war, mehr darüber herauszufinden, wie Knorpelzellen entstehen, sich organisieren – und Ansatzpunkte zu finden, um das Wachstum in kaputtem Knorpel zu reaktivieren», erklärt sie.

Ganz daheim in der Studienstiftung

In Basel konnte sie diese Arbeit fortsetzen – dank einer Kollaboration zwischen Harvard und der Forschungsgruppe von Ivan Martin, einem Spezialisten für Gewebezüchtung und Knorpelregeneration. Die Studie wird ihre Master-Arbeit, deren Umfang über eine herkömmliche Master-Arbeit jedoch wahrscheinlich hinausgeht. «Ich renne auch schon mal in einer Vorlesungspause ins Labor, um an einem Experiment weiterzuarbeiten», sagt sie.

Seit einigen Jahren wird Flora Chiper von der Schweizerischen Studienstiftung gefördert und ist sogar die Gefördertenvertreterin in deren Bildungskommission. Dieses Jahr erhielt sie ein Werner-Siemens-Fellowship. Ein solches Stipendium wird jährlich durch die Studienstiftung an zehn herausragende Studierende im MINT-Bereich, in Medizin oder Pharmazeutik vergeben. Es sind Exzellenz-Stipendien, die es talentierten und ambitionierten jungen Menschen ermöglichen, ihre Ausbildung und Entwicklung zielgerichtet zu verfolgen.

Chiper ist dankbar für die Unterstützung. Die die Studienstiftung biete ein enormes Netzwerk von Menschen, die einen mit offenen Armen empfingen, wenn man sich einsetze und etwas bewirken und erreichen möchte. «In der Studienstiftung kann ich die Flora sein, die ich sein möchte», sagt sie. «Ich muss nicht ständig erklären, weshalb ich neben dem Studium ganz viele andere Dinge mache – und an freien Tagen auch schon einmal Kongresse zur Vertiefung meiner Interessen oder Seminare zur Horizonterweiterung besuche.»

Jugend-Vertreterin bei der UNO

Erleichtert wird dies durch die finanzielle Unterstützung, die mit dem Fellowship einhergeht. «So kann ich mich neben dem Studium für jene Themen einsetzen, die mir wichtig sind – ohne dass ich auf das Finanzielle schauen muss», sagt sie. Eines dieser Themen ist die internationale Diplomatie, zu der Chiper ebenfalls durch die Studienstiftung kam: zuerst als Mitglied der Delegation der Schweizerischen Studienstiftung an der National Model United Nations in New York, im Jahr darauf als Coach für die Schweizer Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Die National Model United Nations Konferenz ist eine internationale studentische Simulation der Vereinten Nationen. Chiper lernte hier nicht nur, wie die UNO funktioniert und wie Verhandlungen ablaufen. Sie kam auch in Kontakt mit der Schweizer Diplomatenwelt. Und so bewarb sie sich letztes Jahr erfolgreich für eines der drei Mandate als UNO-Jugenddelegierte der Schweiz. «Dieses Mandat nimmt momentan einen grossen Teil meines Lebens ein», sagt sie.

Im Auftrag der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) und mit Unterstützung des Aussendepartements EDA vertritt sie für zwei Jahre auf UNO-Konferenzen die Interessen der ungefähr 15- bis 25-jährigen Jugend der Schweiz. Im Herbst 2023 nahm sie beispielsweise an einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf teil und hielt an einer Nebenveranstaltung eine Rede.

Der Dreistufen-Plan

Inzwischen nimmt die Weltbühne gar einen Platz in Flora Chipers Zukunftsplänen ein, die drei Tätigkeitsebenen beinhalten. Ihr Ziel, erzählt sie, sei eine Karriere als Surgeon Scientist, also als Chirurgin, die auch in der Forschung aktiv ist. «Als Ärztin kann ich Patienten direkt helfen, aber nur einer beschränkten Anzahl.» Als Forscherin hingegen könne sie vielleicht dazu beitragen, vielen Menschen zu helfen – zum Beispiel mit einem Beitrag zur Entwicklung regenerativer Therapien.

Noch viel grösser aber sei der Hebel in internationalen Gremien, etwa bei der Behandlung und Umsetzung von Fragen der öffentlichen Gesundheit. «In solchen Gremien ist der Einfluss einer einzelnen Person zwar klein», sagt Chiper, «aber dort verabschiedete Abkommen oder Beschlüsse helfen Menschen auf der ganzen Welt.» Sie könne sich gut vorstellen, dereinst auch auf dieser Ebene zu wirken.

Vorerst aber stehen bis zum Staatsexamen noch zwei Jahre Medizinstudium an. Darüber zu sprechen, was sie nachher tun werde, sei noch etwas zu früh, sagt Flora Chiper. Aber ihr Lächeln verrät, dass sie dafür bereits ihre Pläne hat. Wundern tut das einen nicht: Wer gut organisiert ist, führt seinen Kalender nicht nur für die nächsten paar Wochen.