Die Geobiologin Cara Magnabosco sucht im BedrettoLab nach Mikroorganismen, die tief unter der Erdoberfläche leben. Sie könnten Hinweise darauf geben, wie Leben entstehen konnte.

Mikrobensuche im Bedretto-Tunnel

Im BedrettoLab, tief im Gotthardmassiv, wird nicht nur Erdbeben- und Erdwärmeforschung betrieben: Die Geobiologin Cara Magnabosco von der ETH Zürich sucht in dem Stollen nach Mikroorganismen, die weit unter der Erdoberfläche leben – und vielleicht gar Hinweise auf die Entstehung des Lebens geben.

Das BedrettoLab ist ein einzigartiges Forschungslabor. Es befindet sich in einem ehemaligen Belüftungsstollen des Furka-Tunnels der Matterhorn-Gotthard-Bahn tief im Gotthardmassiv im Kanton Tessin. Mit Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung hat die ETH Zürich den Stollen zu einem Untergrundlabor für die Tiefengeothermie- und Erdbebenforschung umgebaut. Heute wird es von Forschenden aus der ganzen Welt genutzt.

Das bis zu 1,6 Kilometer unter der Erdoberfläche gelegene Labor ist jedoch nicht nur für Erdbeben- und Erdwärmeforscher interessant, sondern auch für Cara Magnabosco, Assistenzprofessorin für Geobiologie an der ETH Zürich. Für sie biete das BedrettoLab eine einmalige Gelegenheit, sagt sie. Denn sie interessiert sich für Bakterien und andere winzige Lebewesen, die tief im Gestein leben. «Man schätzt, dass im tiefen Untergrund mehr Mikroorganismen leben als an der Erdoberfläche und in allen Gewässern zusammen», sagt Magnabosco.

Für uns Menschen mag es rätselhaft erscheinen, dass im Innern eines Felsens wie dem Rotondo-Granit des Bedretto-Tunnels Lebewesen vorkommen können. Doch Gebirge sind selbst im Erdinnern durchzogen von Rissen und Klüften, durch die Wasser fliessen kann. Hier kurbeln spezialisierte Mikroben mit Energiequellen wie CO2 oder Wasserstoff (H2) ihren Stoffwechsel an. «Mit der Zeit bilden sich daraus ganze Lebensgemeinschaften», erzählt Cara Magnabosco. Einige Arten zersetzen Nährstoffe, andere profitieren von diesen Zersetzern. Es gibt Symbionten, Parasiten, Räuber – und sogar Räuber der Räuber.

Proben aus Felsklüften

Eine grosse Herausforderung für Forschende ist es, an diese verborgene Lebensvielfalt heranzukommen. Möglich sind Untersuchungen beispielsweise in Kohleschächten oder Öllagerstätten. Allerdings handelt es sich dabei meist um mehr oder weniger senkrechte Bohrungen. In einem Tunnel, der horizontal durch einen Berg führt, lasse sich hingegen ein Gesteinsquerschnitt untersuchen, sagt Magnabosco. Und hier spielt der Bedretto-Stollen seine Vorteile aus: Im Gegensatz zu praktisch allen befahrenen Tunneln, sind seine Wände nicht mit Zement und Beton verputzt, so dass es möglich ist, Proben von Gesteinslebewesen zu entnehmen.

Cara Magnabosco hat deshalb vor einigen Jahren im BedrettoLab ein Forschungsprojekt namens DELOS lanciert. DELOS steht für «Deep Life Observatory» und verweist gleichzeitig auf die gleichnamige griechische Insel, auf der in der Antike aus religiösen Gründen niemand zum Sterben bleiben durfte. «Mikroorganismen im BedrettoLab überdauern unter extremen Bedingungen tief unter der Erdoberfläche», sagt Magnabosco. «Man könnte sagen: Sie weigern sich zu sterben.»

Um einen Überblick über die Mikrobenvielfalt im BedrettoLab zu erhalten, richtete die Forscherin an mehreren Dutzend Stellen des 5,2 Kilometer langen Tunnels Messstationen ein. Die meisten davon fangen Wasser auf, das durch natürliche Gesteinsrisse oder -klüfte eindringt. Diese Wasserproben analysieren die Forschenden in den Labors in Zürich. Sie filtern Lebewesen aus ihnen heraus und extrahieren das darin enthaltene Erbgut.

Tausende verschiedener Mikroben

Kürzlich haben Cara Magnabosco und ihr Forschungsteam eine erste Publikation mit Resultaten solcher Messungen veröffentlicht (*). Die Studie zeigt: Die Vielfalt des Lebens im BedrettoLab ist enorm. Die Forschenden zählten nicht weniger als 14‘500 Amplikon-Sequenzierungs-Varianten, die als Mass für die Anzahl der Arten bei Mikroorganismen dienen. Diese stammen aus 64 verschiedenen biologischen Stämmen. Diese Vielfalt habe sie überrascht, sagt Magnabosco.

Die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften unterscheidet sich von Standort zu Standort sehr stark. «Grob gesagt, fanden wir drei ökologische Typen, in denen unterschiedliche Mikrobengruppen dominierten», erzählt Cara Magnabosco. So leben in eher flachen, noch von Grundwasser geprägten Bereichen andere Artengemeinschaften als in Gesteinsschichten mit hohem Wasserdurchfluss und dort wiederum andere als in tiefen, basenreichen Gesteinen.

Ein spannender Fund war eine grosse Population ultrakleiner Bakterien aus dem Stamm der Patescibacteria. Sie sind etwa zehn Mal kleiner als «normale» Bakterien und erreichen gerade einmal Längen von ungefähr nur etwa 200 Nanometer, was einem Milliardstel eines Meters entspricht. Auch ihr Erbgut ist viel kleiner als das anderer Bakterien. Über diese Bakterien sei noch sehr wenig bekannt, sagt Magnabosco. «Sie scheinen sich früh in der Erdgeschichte von anderen Bakteriengruppen abgespalten zu haben– und wir sehen im BedrettoLab, dass sie auf der Oberfläche anderer Bakterien leben, vielleicht weil ihre Stoffwechsel-Fähigkeiten limitiert sind.»

Sorgen Beben für Leben?

Als noch interessanter bezeichnet Magnabosco eine andere Entdeckung: Es zeigte sich, dass kleinste Beben die im Bedretto von den Forschenden ausgelöst wurden, zu kurzfristigen Veränderungen an einer Messstelle führten. «Die hydrochemische Zusammensetzung und die Mikrobenvielfalt veränderten sich, aber innerhalb weniger Wochen stellte sich der ursprüngliche Zustand wieder ein», erzählt die Forscherin. Eine mögliche Erklärung: Durch ein Beben öffnen oder schliessen sich Felsrisse, was den Wasserzufluss verändert.

Neu entstehende Risse können auch Reaktionen im Gestein in Gang setzen, durch die Wassermoleküle zu Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Das Ergebnis sei eine hochreaktive Flüssigkeit, die toxisch auf Lebewesen wirke, sagt Magnabosco. Längerfristig allerdings bringen die Reaktionen energiereiche Moleküle in die unterirdischen Lebensräume – und das Leben erholt sich. Das bedeute, dass solche natürlich verlaufenden Prozesse vielleicht sogar die Energie für frühes Leben auf der Erde geliefert haben könnten, sagt Magnabosco.

Der grossen Frage, wo und wann das Leben begann, geht die Forscherin nicht nur mit Blick auf die Erde nach: Im «Centre for Origin and Prevalence of Life» der ETH Zürich untersucht Magnaboscos Team gemeinsam mit anderen Forschungsgruppen auch die Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens auf anderen Planeten. Die Reaktion, bei der Gestein und Wasser biochemische Energie erzeugen, könnte auch im Untergrund anderer Planeten auftreten, sagt sie. Das heisst: Gelingt es, Licht ins Dunkel der Bedretto-Mikroben zu bringen, könnte dies auch ein wichtiger Schritt sein, um die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben in fernen Welten zu verstehen.

Studie