Ultraschall aktiviert Proteinspalter

Das Projekt TriggerINK in Aachen untersucht, wie sich beschädigtes Knorpelgewebe mithilfe eines Stützgerüsts aus einer Hydrogel-Tinte zum Nachwachsen anregen lässt. Nun haben die Forschenden einen wichtigen Puzzlestein dafür entwickelt: ein biochemisches System, mit dem sich Hydrogele nach Bedarf steifer oder biegsamer machen und in neue Formen bringen lassen.

Menschen, die unter Arthrose leiden, wissen aus leidvoller Erfahrung: Geschädigter Knorpel kann nicht ohne weiteres heilen – das führt oft zu chronischen Gelenkschmerzen, die mit der Zeit immer schlimmer werden. Abhilfe schaffen könnte das von der Werner Siemens-Stiftung unterstützte Projekt TriggerINK. Forschende am DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen arbeiten dabei an einer visionären Methode zur Knorpel-Regenerierung.

Dreh- und Angelpunkt des innovativen Konzeptes ist die Entwicklung eines Hydrogels, das mithilfe eines 3D-Druck-Roboters direkt in den beschädigten Knorpel gedruckt wird. Bei einem Hydrogel handelt es sich um eine gelatineartige Substanz, die zum grossen Teil aus Wasser und zu einem kleineren Teil aus einem biokompatiblen Polymer besteht. Diese «Bio-Tinte» bildet eine Art Stützgerüst, entlang dessen das körper­eigene Knorpelgewebe nachwachsen kann. Sie wird mit Komponenten angereichert, die durch äussere Signale wie Wärme, Vibration oder Schall so angeregt werden können, dass sie das Zellwachstum fördern.

Nun hat ein Team um Andreas Herrmann, Wissenschaftlicher Direktor am DWI, eine Methode entwickelt, die mithelfen wird, die Eigenschaften dieser Bio-Tinte gezielt zu verändern. Dazu entwickelten die Forschenden einen ausgeklügelten biochemischen Mechanismus. Die in Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam aus China durchgeführte Studie wurde kürzlich im renommierten Fachmagazin «Nature Communications» veröffentlicht.

Ein Enzym und sein Hemmstoff

Als Ausgangspunkt diente den Forschenden ein Hydrogel, an dessen Gerüst sie mittels chemischer Bindungen zwei verschiedene Proteine befestigten: Thrombin und Hirudin. Thrombin ist ein Enzym und Blutgerinnungsfaktor, der im Körper durch die Spaltung des Proteins Fibrinogen den «Klebstoff» Fibrin herstellt. Hirudin ist ein Hemmstoff von Thrombin; solange die beiden miteinander verbunden sind, kann Thrombin keine Proteine spalten.

Thrombin und Hirudin wurden gentechnisch so verändert, dass sie sich präzise an ganz bestimmte Positionen im Hydrogel-Gerüst einfügen und miteinander verbinden. Zieht man nun das Gerüst auseinander, löst sich die Bindung zwischen Thrombin und Hirudin durch die äussere Kraft – das Enzym wird aktiviert und kann genutzt werden, um die Eigenschaften des Hydrogels zu verändern.

Die Forschenden entwickelten aus diesem System zwei Methoden solcher Eigenschafts-Veränderungen: Bei der ersten geht es darum, ein ursprünglich weiches Hydrogel steif zu machen. «Dazu integrierten wir Fibrinogen in unser System», sagt Andreas Herrmann. «Wird nun Thrombin aktiviert, spaltet es Fibrinogen in Fibrinfasern, die das Hydrogel verstärken – das Stützgerüst der Bio-Tinte versteift sich.»

Im Gegensatz dazu ermöglicht es die zweite Technik, ein steifes Hydrogel biegsamer zu machen. Dazu versetzten die Forschenden ihr System mit Molekül-Ketten, die das Hydrogel-Gerüst vernetzen und damit verstärken. Auch diese Quervernetzungen spaltet das Thrombin, wenn es durch Kraft mechanisch aktiviert wird. Eine starre Bio-Tinte wird durch diesen Vorgang weicher.

Mit der Kraft des Ultraschalls

Wie aber lässt sich ein Hydrogel-Gerüst im Körperinneren auseinanderziehen, sodass sich die Bindungen zwischen Thrombin und seinem Hemmstoff Hirudin lösen und das Enzym aktiviert wird? «Durch Ultraschall», erklärt Andreas Herrmann. «Dadurch entstehen sehr kleine Bläschen im Körper. Wenn sie kollabieren, können sie Kraft auf das Hydrogel übertragen. Wir zeigen mit dem System zum ersten Mal,  dass sich über mechanische Kraft direkt auf molekularer Ebene ein Enzym anschalten lässt.»

Und das ist noch nicht alles: Durch vorsichtiges, mehrmaliges Anwenden der Zugkraft, so zeigt die Studie, können die mechanischen Eigenschaften des Hydrogels bereits sehr genau eingestellt werden. Laut Herrmann ist der Prozess leicht regelbar: «Sobald wir die Zugkraft stoppen, verbinden sich Thrombin und Hirudin wieder – das Enzym wird deaktiviert und das Hydrogel verbleibt in dem justierten Zustand.»

In einem weiteren Schritt nutzten die Forschenden die Methode, um Hydrogele mit komplexen Formen herzustellen. Dazu legten sie zwei Hydrogel-Schichten – die eine mit selbstversteifenden, die andere mit selbstweichmachenden Eigenschaften – aufeinander und verbanden sie. Durch die Aktivierung zieht sich die eine Schicht zusammen, während die andere sich ausdehnt: Das führt zu einer Krümmung der Doppelschicht. Dank geschickter Anordnung der beiden Schichten entstanden so beispielsweise Formen, die wie vierblättrige Blüten aussehen.

Neue Ideen fürs TriggerINK-Projekt

Solche Formveränderungen liessen sich vielleicht dereinst in der regenerativen Medizin einsetzen, sagt Andreas Herrmann. Man setzt beispielsweise ein Implantat endoskopisch in den Körper ein – und bringt es danach mittels mechanischer Aktivierung in die richtige Form. Im TriggerINK-Projekt wiederum könnten es solche Materialien erlauben, Wachstumsfaktoren mittels Ultraschall zu aktivieren. «Oder man löst sogar das Hydrogel mittels Ultraschall gezielt auf, um die Einwanderung von Zellen in die Polymermatrix zu induzieren.»

Bis es soweit ist, müssen die Forschenden allerdings noch einige Hürden aus dem Weg schaffen. Eine davon ist das Enzym Thrombin. Denn so wichtig der Mechanismus der Blutgerinnung ist, um Wunden zu verschliessen, so gefährlich ist er im Körperinneren: Verstopfen Gerinnsel die Blutgefässe, kann es zu Thrombosen, Lungenembolien oder Schlaganfällen kommen. «Wir müssen deshalb das Thrombin durch ein anderes proteinspaltendes Enzym ersetzen», sagt Andreas Herrmann.

> Link zur Studie