Eine Karriere zum Wohl der Frauen

Medizin, Forschung und Feminismus: Rahel Schmidt hat viele Interessen. Dereinst möchte sie als Ärztin arbeiten und an häufigen, aber gesellschaftlich zum Teil immer noch tabuisierten Frauenkrankheiten forschen. Die Medizinstudentin hat ein Exzellenz-Stipendium der Werner Siemens-Stiftung erhalten.

Rahel Schmidt wirkt entspannt. Am Mittag hat sie die letzte Prüfung für ihr Masterstudium abgelegt. Ein paar Stunden später fährt sie mit dem Velo vor dem Kulturzentrum LAC in Lugano vor. Nicht um mit ihren Studienkolleginnen und -kollegen zu feiern, sondern um sich porträtieren zu lassen. «Kein Problem», sagt die 24-Jährige. «Ich werde einfach etwas später zur Feier stossen.» Ausserdem sei sie gespannt auf die Fotosession. «Ich habe meinem Mami schon lange wieder einmal ein Foto von mir schicken wollen», sagt sie und lacht. Diese Offenheit, diese Lust auf Neues und ihre breiten Interessen begleiten Rahel Schmidt durch ihr noch junges Leben.

Aufgewachsen ist Schmidt in Therwil im Kanton Baselland. «Mein Berufswunsch als Kind war Tierärztin», erzählt sie. Für die Maturarbeit untersuchte sie Archivdaten eines medizinischen Labors auf antibiotikaresistente Bakterien. Sie war begeistert von der Wissenschaft und der Laborarbeit. Die Resultate durfte sie in einem Spital am Morgenrapport vorstellen – und den zuständigen Infektiologen einige Tage lang begleiten. «Da sah ich, was solche Forschungsresultate für die Patientinnen und Patienten bedeuten. Das fand ich noch spannender», erzählt sie.

Moleküle herstellen, Viren erforschen

Nach der Matura absolvierte sie ein Praktikum in physikalischer Chemie am Paul Scherrer Institut im aargauischen Villigen. Sie lernte mit dem Massenspektrometer umzugehen, Moleküle zu synthetisieren, Experimente zu planen und auszuwerten. «Das war ebenfalls spannend», sagt Schmidt. Doch ihr Herz schlug bereits für die Medizin. Während eines Volontariats hatte sie in Simbabwe in einer rudimentären Mutter-Kind-Klinik gearbeitet. «Eines Nachts hatten die Hebamme und ich zwei Geburten gleichzeitig», erzählt Schmidt. Sie habe eines der Neugeborenen entgegengenommen, abgerieben, einen ersten Gesundheitscheck gemacht und es so schnell wie möglich der Mutter zurückgegeben. «Nach diesem Erlebnis wusste ich: Ich muss Ärztin werden.»

Für den Bachelor des Medizinstudiums schrieb Schmidt sich an der ETH Zürich ein, unter anderem weil dort ein Fokus auf den naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern liegt. Für das anschliessende Masterstudium wechselte sie nach Lugano. Wobei der Umzug etwas überstürzt erfolgte, wie sie schmunzelnd erzählt. Eigentlich habe sie zur Vorbereitung ihr Italienisch noch etwas verbessern wollen. Aber da bekam sie die Möglichkeit, während der Coronapandemie ihre Masterarbeit am Istituto di Ricerca in Biomedicina in Bellinzona zum Coronavirus zu verfassen. «Ich musste sofort anfangen – es wurden zum Teil lange Tage», erzählt sie.

Inzwischen kann sie sich mit Patienten, Ärzte- und Studienkolleginnen problemlos auf Italienisch verständigen. «In Lugano zu studieren ist genial», sagt sie – und zeigt auf den See und auf die Bergkulisse mit dem Monte Boglia, dem Monte Brè und dem San Salvatore. Nicht nur die Umgebung, sondern auch die (noch junge) medizinische Fakultät sei hervorragend, sagt Schmidt. In ihrem Jahrgang sind nur 48 Studentinnen und Studenten eingeschrieben – die meisten aus der Deutschschweiz. «Wir haben eine Betreuungsquote, von der andere Unis nur träumen können.»

Viele Ideen und Projekte

Rahel Schmidt ist Empfängerin eines Werner-Siemens-Fellowships. Ein solches Stipendium wird jährlich durch die Schweizerische Studienstiftung an zehn herausragende Studierende im MINT-Bereich, in Medizin oder Pharmazeutik vergeben. Es sind Exzellenz-Stipendien, die es talentierten und ambitionierten jungen Menschen ermöglichen, ihre Ausbildung und Entwicklung zielgerichtet zu verfolgen. Schmidt ist dankbar für die Unterstützung. Zum einen komme sie dadurch mit vielen spannenden Menschen und Themen in Kontakt. Zum anderen seien die Studiengebühren in Lugano recht hoch, sagt sie. «Das Stipendium ermöglicht es mir, ohne finanzielle Sorgen all meine ehrenamtlichen Projekte zu verfolgen.»

Und davon gibt es einige. Während der ersten Corona-Welle startete Schmidt gemeinsam mit ihrem Partner das Projekt «Students4Hospitals». Mit der Hilfe eines grossen Teams vermittelten die beiden mehr als 100 Studentinnen und Studenten an Gesundheitsinstitutionen, denen es an Personal mangelte. Ebenfalls während der Pandemie organisierte sie gemeinsam mit Reatch, einer Denkfabrik junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, eine Podiumsdiskussion zum Thema Impfen. Bei Reatch arbeitet sie auch weiterhin an verschiedenen Projekten. Und sie amtete als Öffentlichkeitsbeauftragte für den diesjährigen FemTechnology Summit, ein Treffen von Startups, Ärztinnen und Wissenschaftlern, die sich für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen einsetzen.

Hier treffen sich Rahel Schmidts grösste Interessen: die Medizin, die Forschung und der Feminismus. Faszinierend findet sie die sogenannte Gender-Medizin, also die Erforschung und Behandlung von Krankheiten oder Krankheitsbildern, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich äussern. Ein Beispiel, erklärt Schmidt, sei der Herzinfarkt. Bei Männern macht er sich meist als Ziehen in der Brust bemerkbar, das bis in die Arme ausstrahlen kann. Bei Frauen dagegen kann Übelkeit das einzige Symptom sein.

Klare Ziele

Weil die Medizin aber klassischerweise männlich geprägt war und teilweise immer noch ist, sind viele Frauen-Krankheiten ungenügend untersucht. Etwa die Endometriose, die bei manchen Frauen während der Menstruation grosse Unterleibsschmerzen verursacht. «An Endometriose leiden ungefähr 10 Prozent der Frauen», sagt Schmidt. Trotzdem wisse man noch wenig darüber. «Das hat auch viel mit Tabus zu tun.» An solch tabubehafteten Krankheiten möchte Schmidt dereinst forschen, und in ihrer Karriere Medizin und Wissenschaft verbinden.

Nächstes Jahr, so ihr Plan, wird sie in Lugano ihre Dr.-med-Arbeit und ihr Staatsexamen ablegen. Im Dezember 2023 tritt sie am Zuger Kantonsspital die Ausbildung zur Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe an. «Da werde ich wenig Zeit für Forschung haben», sagt sie. Danach kann sie sich gut vorstellen, eine PhD-Ausbildung zu beginnen. Mit einer Professorin am Berner Inselspital und dem Studiendirektor Medizin an der ETH Zürich sei sie bereits im Gespräch.

Die Bilder sind im Kasten, der Journalist hat seine Fragen gestellt. Rahel Schmidt zeigt über die Bucht. Dort drüben, im Parco Ciani, seien ihre Studienfreunde bereits am Feiern, sagt sie. Manch eine Studentin, manch ein Student wäre bei dieser Vorstellung schon längst kribbelig geworden. Doch Rahel Schmidt ist noch immer die Ruhe selbst. Sie schwingt sich auf ihr Velo und fährt entspannt davon.