Heisses Thema, kluge Köpfe

In den Sommerakademien der Schweizerischen Studienstiftung lernen begabte Studierende Denkansätze aus anderen Disziplinen kennen und kritisch zu hinterfragen. Zum Beispiel indem sie sich überlegen, ob man beschädigte Ökosysteme mittels «Ökosystem-Design» wieder ins Lot bringen könnte. Ein Besuch im Centro Magliaso am Luganersee, wo die Sommerakademien jedes Jahr stattfinden.

Das Schilf raschelt, feine Wellen rollen auf den Kiesstrand. Eine Brise weht über den tiefblauen Luganersee. Der Wind zieht durch die alten Buchen und Eichen im Park des Centro Magliaso. Unter den Wipfeln rauchen die Köpfe: Anna Buchholz, Anja Kattanek und Mathieu Dubied sitzen auf den Holzbänken und feilen an ihrer Präsentation. Es ist der Abschlusstag einer der drei Sommerakademien, welche die Schweizerische Studienstiftung mit Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung jedes Jahr organisiert.

«Ökosystem-Design» heisst das Thema der Studienwoche, an der insgesamt 14 Studierende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnehmen. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein neues Konzept, um beschädigte Ökosysteme wieder instand zu setzen oder neue Ökosysteme zu etablieren. Das Dreierteam im Park hat sich für seine Gruppenarbeit den Victoriasee in der Region Kisumu in Kenia vorgenommen. «Der See und die Küste sind verschmutzt», erklärt die 25-jährige Anja Kattanek, die ihren Master in Bildung für Nachhaltige Entwicklung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt macht. «Zudem überwuchern Wasserhyazinthen das Gebiet, und ein eingeschleppter Barsch hat einheimische Fischarten verdrängt.»

Landschaft, die dem Menschen nützt

Die Aufgabe der Dreiergruppe: einen Plan zu entwickeln, um dieses ausser Kontrolle geratene Ökosystem wieder ins Lot zu bringen. Allerdings nicht mit dem Ziel, die Natur einfach sich selbst zu überlassen. Die grösstmögliche Biodiversität zu erreichen, ist ebenso wenig das Hauptziel, ein Besatz mit gebietsfremden Arten ist kein Tabu. «Beim Ökosystem-Design verbessert man die Landschaft so, wie es den Menschen vor Ort nützt», sagt die 17-jährige Anna Buchholz, die im Herbst an der Technischen Universität Wien ein Studium in Technischer Physik beginnt.

Mathieu Dubied findet an der Methode spannend, «dass sie rational ist». Der 24-Jährige absolviert gleich zwei Studiengänge: einen in Robotics, Systems and Control an der ETH Zürich und einen in Politikwissenschaften an der Universität Zürich. Man gebe der Natur einen Wert – einen Wert für den Menschen. «Denn per se», sagt Mathieu Dubied, «hat die Natur keinen Wert.»

Gute Mischung zwischen Studium und Spass

Die Victoriasee-Gruppe schlägt unter anderem vor, die invasive Wasserhyazinthe zu ernten und für die Energiegewinnung in Biogasanlagen zu verwenden. Oder aus ihren getrockneten Stielen Körbe und Möbel herzustellen. Eine andere Möglichkeit wäre, einen Rüsselkäfer einzuführen, der ausschliesslich Wasserhyazinthen frisst. Eine andere Gruppe hatte den Auftrag, das Gebiet einer riesigen Elektronikmüll-Deponie in Ghana aufzuwerten. Auch sie schlagen mehrere Massnahmen vor: Der Boden, so eine Idee, liesse sich entgiften, indem man eine Veilchenart ansiedelt, die Schwermetalle akkumuliert. In entgifteten oder weniger beschädigten Gebieten könnten Menschen Nutztiere halten. Und später liessen sich mit einem Vergnügungspark vielleicht Touristen anlocken.

Umsetzungsreif sind die Projekte der Studiengruppen nicht. Aber man kann sich gut vorstellen, dass Organisationen vor Ort die eine oder andere Idee aus den Konzepten übernehmen können. Und wie war die Studienwoche für die Gruppe selbst? Anna Buchholz, Anja Kattanek und Mathieu Dubied auf jeden Fall sind begeistert. «Vor allem dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den verschiedensten Studienbereichen kommen, ist sehr bereichernd», sagt Anja Kattanek. So hat die Gruppe in Magliaso ihren Horizont erweitert, neue Kontakte geknüpft – und gemeinsam Spass gehabt. Oder wie es Mathieu Dubied ausdrückt: «Es war das perfekte Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit.»

Kritische Fragen und neue Ideen

Solche Herangehensweisen machen «Ökosystem-Design» hoch umstritten. Das weiss auch der Entwickler dieses Konzepts, Martin Zimmer, Professor für Mangrovenökologie am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Gemeinsam mit Professor Nils Moosdorf und Dr. Véronique Helfer, die ebenfalls am ZMT forschen, leitet er die Sommerakademie. Bevor die einzelnen Gruppen ihre Konzepte präsentieren, lassen sie die Studentinnen und Studenten Argumente sammeln, die gegen die Methode sprechen. Es kommt einiges zusammen: Können wir wirklich Ökosysteme designen – oder werden dabei stets artenarme, ökologisch wertlose Landschaften entstehen? Dürfen wir es, oder bleibt dabei die moralische Verpflichtung des Menschen gegenüber den pflanzlichen und tierischen Lebewesen auf der Strecke? Wissen wir genug darüber, wie ein Ökosystem funktioniert? Das Leiterteam muss in der Diskussionsrunde ganz schön viele Vorbehalte parieren.

Trotzdem, oder gerade deswegen, ist Martin Zimmer begeistert von der Gruppe. «Die Studierenden sind sehr kritisch, im besten Sinn des Wortes», sagt er. «Sie diskutieren viel, sie fragen nach, sie hinterfragen.» Auch Véronique Helfer ist positiv überrascht. Die meisten Teilnehmenden würden aus den Sozialwissenschaften kommen, sagt sie. Bei der Vorstellungsrunde zum Wochenstart habe sie sich gefragt, ob das gut gehe mit dem stark naturwissenschaftlich ausgerichteten Thema. «Aber nach einer Stunde war das keine Frage mehr.»

Das Ziel der Studienwoche ist es, dass sich die Studierenden auf neue Denkansätze einlassen, interdisziplinär denken und kontrovers diskutieren lernen – alles Dinge, die für eine akademische Karriere unabdingbar sind. «Und dass sie selbst etwas entwickeln», sagt Martin Zimmer. Wie das die vier Studiengruppen getan haben, zeigen sie am Nachmittag. Dann präsentieren sie ihre Projekte – nicht nur den Mitstudierenden und dem Leitungsteam, sondern teilweise per Zoom auch Projektpartnern in den betroffenen Gebieten. «Die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort ist entscheidend beim Ökosystem-Design», sagt Martin Zimmer. «Oft scheitern Renaturierungsprojekte an der mangelnden Akzeptanz der Einheimischen.»