Bei Wirbelsäulenversteifungen setzen Chirurgen meist Pedikelschrauben aus Titan in die Wirbelkörper und verbinden sie mit Metallstäben.

Sichere Operation

an der Wirbelsäule

Bei manchen schweren Rückenbeschwerden hilft nur noch eine Wirbelsäulenversteifung. Tobias Götschi arbeitet in seinem MedTech Entrepreneur Fellowship an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich daran, diesen Eingriff noch sicherer zu machen.

Rückenschmerzen sind ein Volksleiden. In der Schweiz berichtet laut der Rheumaliga die Hälfte der Bevölkerung, dass sie mehrmals pro Woche bis mehrmals pro Monat Rückenbeschwerden hat. Bei den meisten Betroffenen klingen akute Rückenschmerzen innerhalb weniger Wochen ab. Doch ungefähr 30 Prozent entwickeln chronische Schmerzen – oft ausgelöst durch Bewegungsmangel, sitzende Tätigkeiten oder das Heben schwerer Lasten. Auch Übergewicht kann zum Verschleiss von Bandscheiben und Gelenken der Wirbelsäule führen.

Die wichtigsten Mittel gegen Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule sind Physiotherapie und Verhaltensanpassungen der Patienten. Falls das nicht reicht, folgt ein chirurgischer Eingriff, etwa eine Bandscheibenoperation. Doch manchmal bleibt die Wirbelsäule derart instabil, dass erneut Schmerzen auftauchen oder es sehr wahrscheinlich wieder zu Problemen kommen wird.

«In solchen Fällen bleibt oft nichts anderes als eine sogenannte Wirbelsäulenversteifung», sagt Tobias Götschi. «Bei einer solchen Operation werden Wirbelkörper miteinander verbunden, um sie unbeweglich zu machen und so die Schmerzen zu lindern.» Götschi hat vor zwei Jahren seine Doktorarbeit am Institut für Biomechanik der ETH Zürich abgeschlossen. Heute arbeitet er als Projektleiter in der Spine Biomechanics Gruppe der Universitätsklinik Balgrist, welche die biomechanischen Vorgänge bei der Wirbelsäulenversteifung untersucht.

Eingriff mit Tücken

2024 erhielt Götschi den Zuschlag für einen MedTech Entrepreneur Fellowship der Universität Zürich, um die oft komplexen Wirbelsäulenversteifungs-Eingriffe mittels einer präoperativen Planungsplattform namens «SpinePlanner» zu verbessern. Das von der Werner Siemens-Stiftung finanzierte MedTech Entrepreneur Programm unterstützt junge Forschende beim Transfer von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen. Es umfasst finanzielle Mittel von 150‘000 Schweizer Franken sowie Infrastruktur, Coaching und Unterstützung beim Networking.

Um zu verstehen, wie Tobias Götschis Idee funktioniert, muss man zuerst wissen, wie eine Wirbelsäulenversteifung abläuft: In den meisten Fällen setzt die Chirurgin oder der Chirurg sogenannte Pedikelschrauben aus Titan in die Wirbelkörper und verbindet sie mit Metallstäben, die so gebogen werden, dass die Wirbel im richtigen Winkel zusammengehalten werden. Mit der Zeit wachsen die so fixierten Wirbelsegmente zusammen und verknöchern.

«Grundsätzlich ist diese Art der Operation sehr erfolgreich», sagt Tobias Götschi. Doch in manchen Fällen kommt es zu Komplikationen. Eine besonders grosse Herausforderung sei die sogenannte Schraubenlockerung, sagt Götschi. Die eingebrachten Titanschrauben müssen grosse Lasten aushalten. Wenn, zum Beispiel bei einem Patienten mit Osteoporose, der Wirbelknochen spröde ist, können sie sich lockern.

Lockerungsrisiko simuliert

«Das kann dazu führen, dass der Patient Schmerzen leidet und eine erneute Operation notwendig wird», sagt Götschi. Studien zeigten, dass sich bei bis zu 60 Prozent der Osteoporose-Betroffenen, die sich einer Wirbelsäulenversteifung unterziehen, Pedikelschrauben lockern. Das führt allein in den USA zu zusätzlichen Gesundheitskosten von über 700 Millionen Dollar.

Um die Schraubenlockerung zu verhindern, verwenden Chirurginnen und Chirurgen in manchen Fällen sogenannten Knochenzement. Der Zement lässt sich direkt durch die hohle und mit kleinen Öffnungen versehene Schraube einbringen. Es verteilt sich um die Schraube und erhöht die Stabilität deutlich. Aber Knochenzement ist teuer und birgt Risiken. Gelangt beispielsweise die noch flüssige Masse vor dem Aushärten in ein Blutgefäss, kann sie Embolien verursachen.

Deshalb gilt es bei Wirbelsäulenversteifungen, eine Balance zu finden und genau abzuschätzen, wo Knochenzement angewendet werden soll – und wo nicht. «Um diese Entscheidung zu treffen, kann sich der Chirurg bisher eigentlich nur auf seine Erfahrung verlassen­», sagt Götschi. Und genau hier setzt seine Lösung, der SpinePlanner an: Es handelt sich um eine Simulationsplattform, die auf CT-Aufnahmen basiert. Sie erstellt patientenspezifische Modelle, testet verschiedene chirurgische Optionen und berechnet die resultierende Konstruktionsstärke.

«Aus solchen Daten leiten wir für jede Variante das Lockerungsrisiko der enthaltenen Schrauben ab», sagt Götschi. Das bedeutet: Der Chirurg kann dank der Planungsplattform berechnen, wo genau er die Pedikelschrauben in welchem Winkel am besten setzt, um eine möglichst hohe Stabilität zu erhalten und gleichzeitig genügend Abstand zu empfindlichen anatomischen Strukturen zu halten.

Stabilere Schrauben

In einer Studie haben Götschi und sein Team nachgewiesen, dass der SpinePlanner grosse Vorteile bietet. Sie liessen Chirurgen an menschlichem Spendergewebe Schrauben nach dem heutigen klinischen Standard setzen und verglichen dies mit dem SpinePlanner-Algorithmus. Das Resultat: Die Planung mit der neuen Plattform erhöht die Schraubenstabilität um 42 Prozent. Das sei enorm viel, sagt Götschi. Zum Vergleich: Mit der Entwicklung neuester, hochmoderner Titanschrauben habe man gerade einmal 5 Prozent mehr Stabilität herausholen können.

Noch ist der SpinePlanner nicht zur Unterstützung von operativen Eingriffen zugelassen. «Aber wir sind schon relativ weit mit unserer Technologie und stehen mit verschiedenen Interessenten in intensivem Kontakt», sagt Götschi. Der MedTech Entrepreneur Fellowship erlaube ihm, Zeit und Ressourcen für die Suche und die Gespräche aufzuwenden. «Und das Netzwerk und die Coachings helfen mir zu lernen, wie man ein Geschäft mit medizintechnischer Software aufbaut und seine Technologie richtig schützt.» 

Das Ziel des Jungunternehmers ist es übrigens nicht, die Plattform direkt an Spitäler oder Kliniken zu vermarkten. Vielmehr sollen Lizenzen an grosse Unternehmen verkauft werden, die den SpinePlanner in ihre umfassenden Operationsplanungs-Plattformen integrieren. Man darf gespannt sein, wer auf das innovative Tool setzt – und ab wann Chirurginnen und Patienten davon profitieren können.