Blick in eine Mikroskop-Kammer am Departement Physik der Universität Basel.

Neue Quanten-

Technik mit Poten­zial

Es existieren diverse Ansätze, um Quantencomputer zu entwickeln. Der grosse Durchbruch ist bislang mit keinem gelungen. In einem neuen, von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Projekt verfolgen Forschende der Universitäten Basel und Bern eine innovative Strategie, um stabile und energieeffiziente Quanteneinheiten zu bauen.

Quantencomputer werden zuweilen als der Heilige Gral der Informationstechnik bezeichnet. Sie könnten dereinst die Rechenzeiten gegenüber herkömmlichen Computern derart verringern, dass ganz neue Anwendungen möglich werden. Mit Quantencomputern, so die Hoffnung, liessen sich künftig neue Medikamente entdecken, revolutionäre Werkstoffe erfinden, beliebige Verschlüsselungen knacken, Finanzmärkte kalkulierbar machen oder komplexe Klimamodelle berechnen.

Allerdings ist es bis dahin ein weiter Weg. Erste Quantencomputer existieren zwar, doch es sind Nischen- oder Testgeräte. Mit herkömmlichen Hochleistungsrechnern können sie noch nicht mithalten. Unsere digitalen Alltagsgeräte werden sie auf absehbare Zeit schon gar nicht ersetzen. Denn Quantencomputer zu bauen, ist enorm komplex und aufwändig. Und die Technologie, die ihnen zugrunde liegt, übersteigt die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens.

Die Rechenelemente von Quantencomputern heissen Quantenbits (Qubits) – es sind die Äquivalente zu den sogenannten Bits, den kleinsten Informationseinheiten in herkömmlichen Computern. Während Bits nur zwei Zustände – ausgeschaltet (0) oder eingeschaltet (1) – einnehmen, können Qubits einen beliebigen Wert zwischen 0 und 1 annehmen, und damit theoretisch unendlich viele Zustände. Deshalb sind Quantencomputer in der Lage, nicht nur eine Rechenoperation nach der anderen durchzuführen, sondern mehrere gleichzeitig.

Instabilität als Herausforderung

Es gibt diverse Ansätze, um Qubits herzustellen – und somit Quanteninformationen zu speichern. Manche Forschungsgruppen nutzen neutrale Atome, andere Ionen und wieder andere winzige supraleitende Schaltkreise. Weil Quantenzustände extrem flüchtig und instabil sind, werden Qubits so gut wie möglich von der Umwelt abgeschirmt und normalerweise auf Temperaturen abgekühlt, die nur wenig über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius liegen. Trotzdem schleichen sich meist schon nach kurzen Rechenzeiten Fehler ein. Ein Grossteil der verbauten Qubits wird deshalb benötigt, um Operationen durchzuführen, mit denen Fehler erkannt und eliminiert werden.

Einen äusserst innovativen Weg, um stabilere Qubits zu bauen, geht das neu gegründete WSS-Forschungszentrum für molekulare Quantensysteme (MolQ) an den Universitäten Basel und Bern. Es wird von der Werner Siemens-Stiftung (WSS) in den kommenden elf Jahren mit insgesamt 15 Millionen Schweizer Franken unterstützt. «Unser Ziel ist es, sogenannte topologisch geschützte Qubits auf supraleitenden Materialien zu bauen», sagt Ernst Meyer, Physikprofessor an der Universität Basel und Leiter des Forschungszentrums. «Diese Verbindung des topologischen Schutzes mit der Supraleitung ist ein neuartiger Ansatz.»

Supraleitende Materialien zeichnen sich dadurch aus, dass auf ihnen Strom ohne Widerstand fliessen kann. Topologische Materialzustände sind schwieriger zu begreifen. Sie lassen sich durch den Vergleich zwischen einem Donut und einem Weggli beschreiben: Der Donut hat ein Loch, das Weggli keines. Es ist nicht möglich, durch kleine, kontinuierliche Verformungen aus der einen Form die andere zu machen. Ihr grundlegendes Merkmal – Loch oder kein Loch – ist gegen äussere Einflüsse geschützt.

Die Erforschung topologischer Materialien wurde 2016 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Im neuen Forschungszentrum wird diese komplexe Eigenschaft der Materie genutzt, um Qubits stabil zu halten. Ihre spezielle, topologische Struktur verhindert, dass sie durch äussere Einflüsse wie Störungen oder Defekte ihre grundlegenden Eigenschaften verlieren. Topologische Supraleiter könnten also den Weg weisen zu einem Quantencomputer, der viel stabiler und viel energieeffizienter arbeitet, als es mit anderen Technologien möglich ist.

Moleküle mit besonderen Eigenschaften

Wie aber lassen sich solche Strukturen erzeugen? Für den ersten Schritt verantwortlich ist ein Team am Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern. Privatdozentin Shi-Xia Liu und der emeritierte Professor Silvio Decurtins stellen hier mit chemischen Methoden neuartige Moleküle her, deren Eigenschaften sie gezielt manipulieren. «Es handelt sich um kompakte Moleküle mit einem flachen Gerüst aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen – ähnlich wie das bekannte Graphen», erklärt Shi-Xia Liu.

Dieses Gerüst wird ergänzt mit Stickstoffatomen und Halogenen, zum Beispiel Brom oder Chlor. «Die besondere Eigenschaft dieser Moleküle ist es, dass sie in der Lage sind, einzelne Elektronen aufzunehmen», sagt Silvio Decurtins. Solche ungepaarte Elektronen verfügen über einen Eigendrehimpuls, den sogenannten Spin. Das daran gekoppelte magnetische Moment nutzen die Forschenden zum Bau von Qubits.

Dazu werden synthetisierte Moleküle der Berner Forschenden zur Weiterverarbeitung nach Basel gebracht. Diese übernehmen die Teams von Ernst Meyer und von Dominik Zumbühl, ebenfalls Physikprofessor an der Universität Basel und stellvertretender Leiter des Forschungszentrums. Sie verschmelzen die Moleküle mit einer supraleitenden Unterlage. Als Materialien für solche Supraleiter verwenden die Forschenden beispielsweise Blei, Niob oder Silber-Niob. Einmal auf einer solchen Metall-Oberfläche, nimmt jedes Molekül vom Supraleiter ein zusätzliches Elektron auf und erhält dadurch  ein magnetisches Moment. Die molekulare Anordnung wird mittels hochauflösender Mikroskopie untersucht und mit theoretischen Rechnungen von Ulrich Aschauer von der Universität Salzburg verglichen.

Randströme als Informationsspeicher

Die einzelnen Moleküle lassen sich aufgrund der chemischen Bindungen auf dem Supraleiter zu Molekülgittern – sogenannten molekularen Inseln – mit genau kontrollierter Grösse, Struktur und Ausrichtung anordnen. Der Clou dabei: Bei einer geschickten Anordnung erzeugen die Ladungen und die magnetischen Momente sogenannte supraleitende Randströme. «Auf diesen Randströmen fliesst Ladung verlustfrei ringförmig um die molekularen Inseln – wir können sie als Informationsspeicher verwenden, also als neuartige Qubits», sagt Ernst Meyer. Zudem schirmen die Randströme das Magnetfeld der Molekülinseln ab – so entsteht ein stabiles, topologisches System.

Um daraus einen Quantenrechner zu bauen, braucht es weitere Schritte: Die einzelnen Qubits müssen miteinander zu grösseren Strukturen verbunden werden, letztlich sollen Schaltkreise entstehen. Durch Manipulationen mit elektromagnetischen Feldern lassen sich die gekoppelten Qubits danach dazu bringen, miteinander zu interagieren und logische Rechenoperationen auszuführen. «Bis es soweit ist, braucht es aber noch eine Menge Forschungsarbeit», sagt Ernst Meyer.

Theorie und Experimente

Um die geeignetsten Moleküle, Materialien und Anordnungen zu finden, braucht es eine Vielzahl von Experimenten und Untersuchungen. Dazu stehen am Departement Physik der Universität Basel diverse Hochleistungsmikroskope und -geräte zur Verfügung. Beispiele sind Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskope, mit denen nicht nur Moleküle hochaufgelöst beobachtet, sondern sogar chemische Reaktionen in Gang gebracht werden können. Nötig ist aber auch ein tiefes Verständnis der Vorgänge in solchen Quantensystemen. Ein wichtiger Pfeiler des Projekts sei deshalb die Zusammenarbeit zwischen Theorie und Experimenten, sagt Ernst Meyer.

Für die theoretischen Arbeiten verantwortlich sind im MolQ-Team die Physikprofessoren Daniel Loss und Jelena Klinovaja von der Universität Basel. Beide sind international führende Experten auf dem Gebiet der theoretischen Modellierung von Quantencomputern und topologischen Qubits. Sie werden im WSS-Forschungszentrum beispielsweise berechnen, welche molekularen Strukturen sich besonders gut dazu eignen, supraleitende Randströme zu erzeugen. Und ihre theoretischen Voraussagen werden mithelfen zu bestimmen, wie Qubits miteinander interagieren, wie lange sie stabil bleiben und welche Rechenoperationen mit ihnen möglich sind. 

Die Vorteile der geplanten molekularen Quantensysteme sind weitreichend. Erstens arbeiten die Forschenden von Anfang an auf winzigen Skalen. «Die Grösse eines unserer Moleküle beträgt ungefähr einen Nanometer», sagt Shi-Xia Liu. Das entspricht dem Millionsten Teil eines Millimeters. Ein Qubit, das laut ersten Schätzungen der Forschenden aus ungefähr 20 bis 100 Molekülen bestehen dürfte, würde also zwischen vier und zehn Nanometer breit und lang. Das heisst: Theoretisch hätte eine enorme Anzahl von Qubits auf einem winzigen Quantenchip Platz.

Eine nachhaltigere Elektronik

Zweitens wäre der Energieverbrauch eines Quantencomputers, der auf der MolQ-Technik beruht, dank der supraleitenden Informationsverarbeitung deutlich geringer. Heutige elektronische Geräte erhitzen sich wegen der elektrischen Widerstände – wer einen Laptop oder ein Smartphone benutzt, kennt dieses Phänomen. Eine Elektronik ohne solche Energieverluste wäre ein Durchbruch. Denn 10 Prozent des weltweiten Stroms werden für Datenverarbeitung benötigt. Und dieser Anteil wird – angesichts von immer leistungsfähigeren Supercomputern und immer breiteren Anwendungen von künstlicher Intelligenz – in den kommenden Jahrzehnten stark ansteigen.

Und drittens könnte sich der topologische Schutz als bahnbrechend entpuppen. Physiker bezeichnen die Dauer, für die Qubits ihre Quantenzustände aufrechterhalten können, als «Kohärenzzeit». «Heutige Qubit-Plattformen haben Kohärenzzeiten von Nanosekunden bis Mikrosekunden», sagt Ernst Meyer. «Wir gehen davon aus, dass wir mit unseren topologischen, geschützten Qubits Kohärenzzeiten im Millisekunden-Bereich erreichen werden.» Damit würde es möglich, mindestens 1000 Mal mehr Operationen durchzuführen, bevor ein Fehler auftritt.

Den Forschenden ist bewusst, dass die Konkurrenz bei der Entwicklung künftiger Quantencomputer enorm ist. Unternehmen wie IBM, Google oder Microsoft investieren dafür Hunderte Millionen Dollar. Welcher Ansatz und welche Technologie sich durchsetzen wird, steht noch in den Sternen. Doch klar ist: Der innovative und interdisziplinäre Ansatz des neuen WSS-Forschungszentrums für molekulare Quantensysteme birgt enormes Potenzial.

Zahlen und Fakten

Mittel der Werner Siemens-Stiftung

15 Mio. Schweizer Franken

Projektdauer

2025–2035

Projektleitung

Prof. Dr. Ernst Meyer, Departement Physik, Universität Basel
Prof. Dr. Dominik Zumbühl, Departement Physik, Universität Basel

Partner

Experimentalphysik:
Prof. Dr. Ernst Meyer, Prof. Dr. Dominik Zumbühl, Departement Physik, Universität Basel

Theoretische Physik:
Prof. Dr. Jelena Klinovaja, Prof. Dr. Daniel Loss, Departement Physik, Universität Basel

Synthetische Chemie:
PD Dr. Shi-Xia Liu, Prof. Dr. Silvio Decurtins,  Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie, Universität Bern

Theoretische Chemie:
Prof. Dr. Ulrich Aschauer, Fachbereich Chemie und Physik der Materialien, Universität Salzburg

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