Ottmar Edenhofer ist einer der weltweit führenden Experten für die Ökonomie des Klimawandels. Er ist Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin.

«Der Preis ist entscheidend»

Mit welchen politischen Massnahmen lassen sich Klima, Biodiversität und Böden wirksam schützen? Diese Frage untersucht das von der Werner Siemens-Stiftung neu unterstützte FutureLab CERES am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bei Berlin. Wie CERES vorgeht, erzählt PIK-Co-Direktor Ottmar Edenhofer.

Herr Edenhofer, die Folgen der Klima­erwärmung werden immer sichtbarer. Letzten Sommer trockneten Flüsse fast aus, Gletscher schmolzen wie nie und Wälder brannten quadratkilometerweise. Wie lange haben wir noch Zeit, das Steuer herumzureissen?

Es gibt einen unvermeidbaren Klimawandel, der nicht mehr zu stoppen ist. Wir sind jetzt bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur von etwa 1,2 Grad. Wenn wir jetzt anfangen weniger Emissionen auszustossen, werden wir den Anstieg hoffentlich unter knapp zwei Grad begrenzen können. Mit anderen Worten: An viele Folgen des Klimawandels können wir uns nur noch anpassen.

 

Aber es ist nicht alles verloren?

Es wäre ein falsches Bild zu sagen: Wir laufen auf eine Klippe zu – und wenn wir sie überschreiten, fallen wir hinunter. Klimapolitik ist eher mit einem Marathon vergleichbar. Um den Klimawandel zu begrenzen, müssen wir bis Mitte des Jahrhunderts auf Netto Null kommen – also nicht mehr CO2 ausstossen, als von der Atmosphäre aufgenommen werden kann. Um das zu erreichen, müssen die Emissionen jährlich sechs bis sieben Prozent sinken. Wir haben diesen Marathon erst gerade begonnen.

 

Beobachten Sie, dass Staaten vermehrt etwas unternehmen zum Klimaschutz, weil die Schäden greifbar werden?

Eine Schätzung von unseren Forschenden zeigt, dass die sozialen Kosten des Klimawandels bereits heute über hundert Euro pro ausgestossener Tonne CO2 betragen. Je weiter wir uns vom Zwei-Grad-Ziel wegbewegen, desto dramatischer werden diese Kosten steigen. Es ist auf jeden Fall billiger, die Ziele des Paris-Abkommens einzuhalten, als ungebremsten Klimawandel in Kauf zu nehmen. Trotzdem steigen die Emissionen nach wie vor. Durch den Krieg in der Ukraine sogar noch stärker, weil der Gaspreis schneller gestiegen ist als der Preis der noch viel klimaschädlicheren Kohle. Damit wird Kohle als Energiequelle wieder attraktiver. Gerade südostasiatische Länder setzen vermehrt auf Kohle. Andere Staaten hingegen tun etwas. Aber in der Summe ist es zu wenig.

Sie gehen auch vor Ort, zum Beispiel nach Brasilien oder in den Kongo.

Ja. Wir haben schon mehrere Fallstudien gemacht und Teams vor Ort. Das ist unabdingbar. Es reicht nicht, wenn sich westeuropäische Akademikerinnen und Akademiker in ihren Büros ausdenken, wie diese Staaten handeln könnten.


Der Kongo, wo Sie eine Fallstudie durchführen, will Öl- und Gasförderrechte in dreissig Regionen des Landes versteigern – viele in geschützten Torfregenwäldern, die besonders viel CO2 speichern. Beeinflussen solche politischen Entscheide Ihr Projekt?

Ja. Mit besonderer Besorgnis erfüllt uns, dass durch den Ukraine-Krieg überall auf der Welt die Investitionen in die fossilen Energieträger steigen. Ecuador etwa treibt Öl-Explorationen voran. Solche Informationen werden wichtig sein, um Politikinstrumente vorzuschlagen. Wir denken zum Beispiel intensiv über die Möglichkeit nach, dass multilaterale Entwicklungsbanken Kohlekraftwerke aufkaufen und stilllegen könnten – und die Länder zugleich durch verbilligte Kredite beim Umbau zu erneuerbaren Energiesystemen unterstützen.


Was bedeutet der Krieg Russlands gegen die Ukraine für Ihr Projekt?

Es ändern sich fundamentale Rahmenbedingungen. Internationale Kooperationen sind viel, viel schwieriger geworden. Und die Kohle erlebt wie gesagt eine Renaissance.


Der Krieg hat also negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Umwelt?

Nicht nur. Er treibt zwar die Nachfrage nach fossilen Energien an. Aber zwei grosse Player haben sich auch ambitionierte Klimaziele gesetzt – die EU mit dem Green Deal und die USA mit dem Inflation Reduction Act. Das sind starke Signale.


Die EU und die USA sind Wirtschaftsmächte. Für Schwellen- und Entwicklungsländer, die stark vom Verkauf von Energie- oder Rohstoffen abhängen, ist es ungleich schwieriger, politische Massnahmen zugunsten der Nachhaltigkeit durchzusetzen und mit Kompensationen abzufedern. Wie kommen diese Länder an neue Einnahmen, wenn die alten wegfallen?

Das ist ein komplexes Feld, das CERES in einem dritten Arbeitspaket untersucht. Viele Länder versäumen es in der Phase, in der sie grosse Einnahmen generieren, ihre Wirtschaft zu diversifizieren. Exportländer könnten fossile Ressourcen zum Beispiel besteuern. Aber es braucht auch immer Entscheidungsträgerinnen und -träger, die gewillt sind, in Alternativen zu investieren. Manche Länder versuchen das. Andere wollen das fossile Ressourcengeschäft so lange wie möglich aufrechterhalten. Unsere Aufgabe ist es, zu verstehen warum, und dann entsprechend zu beraten.


Welche Länder suchen nach Alternativen?

Südafrika etwa denkt darüber nach, wie es einen geordneten Ausstieg aus der Kohle schafft. Und wenn es ein Angebot von Entwicklungsbanken gäbe, Kohlekraftwerke aufzukaufen und Schulden zu tilgen, würde auch für Vietnam oder Indonesien ein Kohle­ausstieg durchaus interessant, so ;meine Einschätzung.
 


«Globale moralische Appelle gab es lange genug.»

Das FutureLab CERES erforscht, wie sich globale Gemeinschaftsgüter wie Atmosphäre, Ozeane und Biosphäre nachhaltig bewirtschaften lassen. Was braucht es dazu, wenn selbst die jüngsten Warnsignale nicht genug bewirken?

Eigentlich sind wir im Blindflug. Wir verstehen nicht gut genug, welche politischen Klimaschutz-Massnahmen bislang etwas bewirkt haben – und welche nicht. Das ist, wie wenn ein Arzt Medikamente verabreicht, sich aber nicht darum kümmert, ob und in welcher Kombination sie wirken. Deshalb haben wir im FutureLab eine grosse Studie gestartet. Als Erstes untersuchen wir den Verkehrssektor in der EU: Wo waren Emissionsreduktionen erfolgreich? Und welche Kombination von Politikinstrumenten hat dies ermöglicht?


Wie tun Sie das?

Mit Big Data. Wir werten grosse Datenmengen aus. Was wir wissen: Die meisten Massnahmen brachten nichts. Es gibt in Europa nur sieben Staaten, die ihre Emissionen im Verkehrssektor reduzieren konnten.


Welche waren das?

Dänemark, Finnland, Deutschland, Irland, Luxemburg, Portugal und Schweden. Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass erfolgreiche Massnahmen immer Preisinstrumente be­inhalten – eine CO2-abhängige Motorfahrzeug-Steuer oder Subventionen für erneuerbare Energien. Das ist eine ganz wichtige Einsicht: Der Preis ist entscheidend. Die Untersuchungsmethode wollen wir nun global anwenden.


Das ist viel Rechenarbeit von riesigen Computern.

Wir haben die Möglichkeit, den grossen Hochleistungsrechner am PIK zu nutzen, das ist ein grosser Vorteil. Aber zuerst muss man einen Weg finden, wie sich kausal nachweisen lässt, welche Instrumente gewirkt haben. Meine Kolleginnen und Kollegen am Institut haben dazu bereits sehr interessante ökonometrische Methoden entwickelt. Dann muss man Daten sammeln, sie auswerten – und von ihnen sinnvolle politische Empfehlungen ableiten. Denn wir schauen zurück – und in die Zukunft: Was wird wirken? Welche Kombinationen von Subventionen, Steuern, Standards und Verboten haben welche Folgen?


In einem zweiten Arbeitspaket führen Sie Fallstudien in mehreren Staaten durch.

Ja. Wir wollen zum Beispiel wissen, weshalb ein Staat noch auf Kohle setzt. Um von der Kohle wegzukommen, reicht es oft nicht, die Schäden der Klimaerwärmung zu sehen. Denn viele Staaten betrachten Kohle für ihre Energiesicherheit immer noch als fundamental. Es braucht nicht nur einen Kohleersatz, sondern auch Veränderungen in den jeweiligen politischen Systemen. Im CERES-Projekt studieren wir sehr genau Wirtschaft und Politik der verschiedenen Länder – und überlegen: Wer hat welche Interessen und wie könnte der Wandel unter diesen Bedingungen funktionieren?


Sie nehmen vor allem Staaten unter die Lupe, die sehr reich an Naturschätzen sind, aber auch sehr abhängig davon – und vielleicht nicht genügend Geld haben, um den Turnaround zu schaffen …

… oder die viel Geld haben, deren Eliten aber stark vom Export fossiler Ressourcen leben.


Und deshalb bremsen.

Das muss man alles berücksichtigen. Wenn man sich nicht die Mühe macht, die Interessen genau zu ver­stehen, kommt man nicht weiter. Globale moralische Appelle gab es lange genug.

In einem vierten Arbeitspaket untersucht CERES solche internationale Kooperationen und Instrumente. Doch wie Sie sagten: Diese sind derzeit schwierig umzusetzen.

Ja. Doch Europa und die USA verfolgen ganz ähnliche Ziele. Sie könnten ja über eine Art Klub nachdenken, der sie zu Zielen verpflichtet. Man könnte sich intern auf einen CO2-Preis einigen und Kohle, Öl und Gas mit einer Importsteuer belegen. Unter Klub-Mitgliedern könnte man klimafreundliche Technologien zur Verfügung stellen, etwa zur Entnahme von CO2 aus der Luft. Angesichts des Ukraine-Krieges haben solche Ideen durchaus Potenzial. Die deutsche Bundesregierung etwa hat an dieser Klub-Idee grosses Interesse. Wir sind mit ihr im Gespräch. Und wir untersuchen mit CERES, wie die Struktur eines solchen Abkommens aussehen könnte.


Aber die Beziehungen zwischen dem Westen und anderen Staaten haben sich verschlechtert.

Die USA und China haben einen massiven Konflikt. Aber sie werden auf bestimmten Gebieten kooperieren müssen. Ich hoffe sehr, dass das Klima dazugehört. Wir werden in einer Welt leben, in der Konflikt und Kooperation miteinander verwoben sind.


Welche Fortschritte hat CERES sonst noch im ersten Jahr gemacht?

Wir haben gute Forscherinnen und Forscher gewonnen. Und wir sind daran, eine Professur für Politikökonomie einzurichten. Doch für die Forschungsarbeiten müssen wir nicht auf die Professur warten. Da sind wir bereits auf einem sehr guten Weg. Wir freuen uns sehr darauf, im nächsten Jahr mit einem wachsenden Team die Forschungsagenda umzusetzen.


Sie beraten seit langem die Politik in Klimafragen. Gibt es einen Punkt, bei dem Sie immer wieder auf Granit beissen – etwas, das Politikerinnen und Politiker einfach nicht begreifen? 

(Schmunzelt) Ja. Klima und Nachhaltigkeit bergen die wichtigsten Risiken des 21. Jahrhunderts. Aber es sind Risiken, die in der Zukunft liegen. Für die Politik gibt es immer Ereignisse, Krisen oder Stimmungen, die kurzfristig wichtiger sind. Aber wir müssen längerfristig denken. Denn die Nachhaltigkeits-, Ernährungs-, Klima- und Biodiversitätskrisen schaukeln sich gegenseitig hoch. Das ist das Besorgniserregende: Wir haben es mit multiplen Krisen zu tun. Und wir haben nicht den Luxus, eine nach der anderen zu lösen, sondern müssen alle gleichzeitig angehen. Das ist komplex. Die Wissenschaft hat die Rolle eines Radars, der die Risiken wahrnimmt – und sie muss die Politik durch Beratung unterstützen.


Wie verschafft man sich als Wissenschaftler in der Politik Gehör?

Am besten durch unparteiische Expertise und durch den Willen, Politikerinnen und Politikern auf die Nerven zu gehen. Zudem haben wir am PIK durch unsere Tätigkeiten im Weltklimarat oder in der Europäischen Umweltagentur hervorragende Kontakte in viele Länder. Das CERES-Projekt ist für uns ein Reputationsgewinn; es hilft mit, dass die Türen der Entscheidungsträgerinnen und -träger aufgehen.

«Wir werden in einer Welt leben, in der Konflikt und Kooperation miteinander verwoben sind.»