Corona-Warn-App als Lehrstück

Ob Nutzerinnen und Nutzer einer digitalen Anwendung vertrauen, hängt von vielen Faktoren ab. Am «Zentrum für digitales Vertrauen» untersucht das Team von Matthew Smith von der Universität Bonn diese komplexen Zusammenhänge. Als Lehrstück dient ihm unter anderem die deutsche Corona-Warn-App.

Digitale Technologien sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Doch das Herunterladen einer App, das Aufrufen einer Website oder das Benutzen eines elektronischen Zahlungssystems bergen auch Gefahren: Hackerinnen und Hacker legen Websites lahm, Cyberkriminelle fangen Daten ab und Konzerne oder Behörden sammeln private Daten, von denen die Benutzerinnen und Benutzer meist nicht wissen, was mit ihnen geschieht.

Das von der Werner Siemens-Stiftung seit 2019 geförderte «Zentrum für digitales Vertrauen» an der ETH Zürich und der Universität Bonn will deshalb digitale Sicherheitssysteme entwickeln, denen man hundertprozentig vertrauen kann – zum Beispiel Zertifizierungs- und Authentifizierungsmethoden im Internet. Dazu reicht es aber nicht, neue Software zu programmieren. «Wenn es darum geht, ob sich eine neue Technologie durchsetzt, ist der Faktor Mensch entscheidend», sagt Matthew Smith, Professor für Informatik an der Universität Bonn und am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie in Bonn.


Begleitstudien weisen den Weg

Mit seinem Team forscht Smith an der Schnittstelle zwischen Software und Mensch. Er will wissen, ob eine Neuentwicklung verstanden, wie sie genutzt wird und ob Nutzerinnen und Nutzer ihr vertrauen. «Technikerinnen und Techniker wie wir sehen die Welt zum Teil anders als die restlichen Menschen», sagt Smith. «Begleitstudien mit Anwenderinnen und Anwendern sind deshalb wichtig um herauszufinden, ob wir auf dem richtigen Weg sind.»

Die Corona-Pandemie gab den Forschenden die Gelegenheit für eine solche Begleitstudie. Sie befragten unmittelbar vor und kurz nach der Einführung der Corona-Warn-App in Deutschland eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe zu ihrem Wissen, ihrer Einstellung und ihren Erfahrungen mit der App. Dabei habe sich bestätigt, dass die breite Bevölkerung zum Teil diametral andere Ansichten habe als Softwareentwickler, erzählt Smith. «Um Vertrauen zu schaffen, setzen Entwicklerinnen und Entwickler zum Beispiel oft auf Open-Source-Software, deren Quellcode offengelegt ist.» So auch bei der Corona-Warn-App.

Doch anders als von den Entwicklerinnen und Entwicklern erhofft, gab nur ungefähr ein Viertel der befragten Personen an, dass dies einen positiven Effekt habe auf ihre Absicht, die App herunterzuladen. Viele Menschen hätten den Begriff «Open Source» gar nicht gekannt, sagt Maximilian Häring, Erstautor der Studie. «Eine Teilnehmerin beispielsweise schrieb, die Umfrage sei zwar interessant, enthalte aber zu viele Fremdwörter ‹wie Open Sourse›.»

Digitales braucht reales Vertrauen

Kurz vor der Lancierung war zudem vielen Anwenderinnen und Anwendern unklar, wie die App technisch funktionieren und wie gut der Schutz ihrer Privatsphäre sein würde. So meinte über die Hälfte der Befragten, die App werde sie warnen, wenn sich eine infizierte Person in ihrer Nähe befinde.

Eine zentrale Rolle bei der Akzeptanz spielte die Einstellung zur Corona-Politik der Bundesregierung. «Das Vertrauen in die Regierung war die wichtigste Variable, um vorherzusagen, ob jemand die App herunterladen würde oder nicht», sagt Maximilian Häring. Während manche die App unter keinen Umständen benutzen wollten, gaben andere an, sie auf jeden Fall herunterzuladen – Datenschutzfragen hin oder her.

In der Folgestudie, die nach der Lancierung der App durchgeführt wurde, zeigten sich andere Stolpersteine. Während Fragen rund um die Privatsphäre in den Hintergrund traten, spielte nun die Benutzerfreundlichkeit eine wichtigere Rolle. Je nach Altersgruppe gaben bis zu 12 Prozent der Befragten an, die App wegen technischer Probleme nicht installiert zu haben.

Insgesamt, sagt Matthew Smith, sei die Corona-Warn-App ein Lehrstück für die Einführung neuer digitaler Entwicklungen. Nicht die Qualität der Software entscheide, ob Userinnen und User sie akzeptierten und ihr vertrauten. «Entscheidend sind die Vertrauensverhältnisse in der realen Welt. Dieses Vertrauen muss man in die digitale Welt transportieren.» Was es dazu braucht, soll das Projekt in den nächsten Jahren zeigen. Smith ist überzeugt: «Technik sollte nicht von Techies allein entwickelt werden. Die breite Bevölkerung muss von Anfang an involviert werden.»