MIRACLE-II-Technik bei der Operation von Kreuzbandrissen.

Top-Forschung auf dem Theater­platz

Forschung zum Anfassen statt Wissenschaft im Elfenbeinturm: Das MIRACLE-II-Projekt hat im Juli seine revolutionären Technologien während drei Tagen auf dem Theaterplatz in Basel der interessierten Bevölkerung präsentiert.

Der Basler Theaterplatz ist ein Ort zum Staunen. Im Fasnachts- oder Tinguely-Brunnen sprühen zehn Fantasie-Maschinen des Künstlers Jean Tinguely Wasserfontänen durch die Luft. Wer den Eisenfiguren bei ihrem Spiel zuschaut, fragt sich, wie das Ganze funktionieren kann. Und nicht anders geht es den Besucherinnen und Besuchern, die an diesem sonnigen Freitag im Juli gleich daneben die Innovationen des von der Werner Siemens-Stiftung (WSS) unterstützten MIRACLE-II-Projekts bewundern.

In Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie hat das Team des Departments of Biomedical Engineering (DBE) der Universität Basel auf dem Theaterplatz eine Art mobiles Mitmachlabor eingerichtet. Das Ziel ist es, die revolutionäre MIRACLE-Technik dem breiten Publikum vorzustellen und so das Verständnis in der Bevölkerung für Forschung und Wissenschaft zu fördern. «Schliesslich forschen wir nicht für den Elfenbeinturm, sondern für die Zukunft der Medizin, von der wir alle profitieren sollen», sagt MIRACLE-II-Leiter Philippe Cattin.

Für drei Monate präsentiert MIRACLE II sich diesen Sommer im Schweizer Pavillon der Weltausstellung im japanischen Osaka einem Millionen-Publikum. Grund genug, um wenigstens während drei Tagen auch der Basler Bevölkerung aus erster Hand die vier grossen Entwicklungen näherzubringen, die im MIRACLE-Projekt zusammenspielen: 3D-Druck, Virtuelle Realität und Künstliche Intelligenz, Lasertechnik sowie Robotik. Die Themen sind so aufbereitet, dass die Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit bekommen, auf spielerische Art und Weise in die komplexen Technologien einzutauchen. «Wir bieten kurze Führungen für kleine Gruppen oder Einzelpersonen an, damit jede und jeder optimal profitieren kann», sagt Daniela Vavrecka-Sidler, die Geschäftsführerin des DBE, die an diesem Tag als Tourguide durch die MIRACLE-Wunderwelt fungiert.

Im Kopf des Patienten

Die erste Station ist das, was Vavrecka-Sidler als «Playstation der Chirurgie» bezeichnet: Die vom Team von Philippe Cattin entwickelte 3D-Software SpectoVR verwandelt Computer- und Magnetresonanztomografie-Aufnahmen in interaktive 3D-Bilder und erlaubt einen Blick ins Innere des Körpers. Die Besucher können hier eins zu eins ausprobieren, wie diese Technik die Arbeit der Ärztin erleichtert.

Wer eine 3D-Brille aufsetzt, taucht ein ins Gehirn eines Patienten mit einem Aneurysma. Diese Aussackung eines Blutgefässes lässt sich von allen Seiten betrachten – und sogar behandeln: Wer möchte, darf – rein virtuell natürlich – versuchen, das Aneurysma an der richtigen Stelle mit einer kleinen Metallklemme zu verschliessen und die Blutversorgung zu unterbrechen, damit es nicht weiterwächst. Genauso, wie es auch Chirurginnen und Chirurgen tun.

Am zweiten Posten ist ein Roboter aus der Forschungswerkstatt der Gruppe von Georg Rauter am Werk. Auf Knopfdruck beginnt er, direkt auf dem Schädelmodell eines Patienten ein passgenaues Implantat zu drucken. «Gelingt es, diese Technik zur Anwendung im Operationssaal zu bringen, werden solche Eingriffe rascher und sicherer», sagt Daniela Vavrecka-Sidler. Eine der Schwierigkeiten: Der Vor-Ort-3D-Druck muss auch auf unebenen oder gekrümmten Flächen wie einem Schädeldach gelingen und dafür wird eine Künstliche Intelligenz eingesetzt.

Tischfussball mit Laserlicht

MIRACLE-Station Nummer drei ist für Junge und Junggebliebene besonders interessant: Es handelt sich um einen «Töggelikasten», einen Kickertisch. Allerdings einen speziellen, der am DBE gebaut wurde. Die Figuren, hergestellt mit 3D-Druckern, stellen Spielerinnen der Schweizer Fussballnationalmannschaft dar, die zur gleichen Zeit an der Frauen-Fussball-EM im Einsatz sind. Und statt eines Balls gilt es einen Laserstrahl ins Tor zu befördern. Das funktioniert so: Der Laserstrahl wird aus einer Öffnung in der Seitenwand aufs Spielfeld geschossen. Jede Spielfigur ist zwischen den Füssen mit einem Spiegel ausgerüstet. Durch geschicktes Platzieren lässt sich der Strahl nun ablenken – von einer Spielerin zur nächsten, bis ins Tor.

Die Lasertechnik ist die Spezialität der Forschungsgruppe von Ferda Canbaz. Im MIRACLE-Projekt wird sie nicht für Tischfussball gebraucht, sondern zum Knochenschneiden. Der Laser soll in die winzige Spitze eines Roboters gebracht und für minimalinvasive Knochenoperationen benutzt werden. Laser hätten verschiedene Vorteile, erklärt Daniela Vavrecka-Sidler. Sie erzeugen beim Schneiden keine Hitze, wodurch weniger Gewebe zerstört wird als mit einer Knochensäge. Und der MIRACLE-Laser erkennt, welche Art Gewebe vor ihm liegt; damit lassen sich Schnitte in gesundes Gewebe verhindern.

Die vierte und letzte Station des kleinen Rundgangs führt noch einmal in die Welt des 3D-Drucks. Eine ganze Auswahl von gedruckten Implantaten aus dem von Florian Thieringer geleiteten 3D-Druck-Labor des Universitätsspitals Basel gibt eine Vorstellung davon, was mit dieser Technik in der modernen Medizin bereits möglich ist. Daniela Vavrecka-Sidler erzählt unter anderem, wie medizinische 3D-Druck-Implantate dank neuen Materialien immer verträglicher für den Körper werden. Und Kinder können sich einen Schlüsselanhänger mit ihrem Namen darauf ausdrucken lassen.

MIRACLE-Planung für Kreuzband-OP

Ein Beispiel, wie die MIRACLE-Technik schon heute medizinische Eingriffe verbessert, liefert der Orthopäde Bertram Rieger, einer der Ärzte des Schweizer Fussball-Frauennationalteams. In einem kurzen Vortrag geht er zuerst auf die anatomischen und hormonellen Gründe ein, aus denen Kreuzbandrisse im Frauenfussball bis zu acht Mal häufiger sind als bei Männern. Und zeigt dann auf, wie eine Kreuzband-Operation geplant wird und abläuft.

Gerade für die Planung der Bohrkanäle und Schraubensetzung seien VR-Techniken aus dem MIRACLE-Projekt schon heute Gold wert, sagt er. «Diese Methoden helfen enorm, um während der Operation keine Überraschungen zu erleben.» Für die Zukunft wünsche er sich, dass man die VR-Technik nicht nur vor, sondern auch während der Operation verwenden könnte, um die Bohrtunnel perfekt zu platzieren. Daniela Vavrecka-Sidler weist darauf hin, dass die Forschenden am DBE genau daran bereits arbeiten.

Spannend auch für Ärzteschaft

Constanze Pfeiffer, die Projektkoordinatorin von MIRACLE II und des Anlasses auf dem Theaterplatz, zieht ein äusserst positives Fazit der drei Tage. Ein Vorausbericht in der lokalen Tageszeitung habe mitgeholfen, viele Menschen auf den Anlass aufmerksam zu machen, erzählt sie. Unter den Besucherinnen und Besuchern hätten sich auch viele Ärztinnen und Ärzte befunden, die sehr an den neuen Techniken interessiert seien.

Auch Hubert Keiber, der Vorsitzende des Stiftungsrats der Werner Siemens-Stiftung, lässt es sich nicht nehmen, die MIRACLE-Techniken auszuprobieren. Er wäre wohl kein besonders guter Chirurg geworden, scherzt er beim Versuch, einen virtuellen Eingriff vorzunehmen. Aber, sagt er: «Mir gefällt, dass die Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm herauskommt und der Bevölkerung aufzeigt, was sie tut und warum sie wichtig ist.»