Im Projekt SonoGuard entstehen Sensoren, die Operationsstellen im Körper überwachen. Um die dort herrschenden Verhältnisse zu simulieren, führt Benjamin Suter auch Tests in Wasser durch.

Frühwarn­system nach

Operationen

Komplikationen nach Operationen sind oft schwierig zu erkennen. Ein neu von der WSS unterstütztes Projekt an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich entwickelt ultraschall-induzierte Kontrastmittel, die Operationsstellen tief im Körper kontinuierlich überwachen – und im Notfall sogar behandeln.

Eine Operationswunde, die schlecht verheilt; eine Infektion, die sich langsam entwickelt: Solche Komplikationen und Erkrankungen bahnen sich oft unbemerkt an. Denn obwohl die Medizin enorme Fortschritte gemacht hat: Was sich im Körper abspielt, lässt sich bis heute nur schlecht beobachten – schon gar nicht auf molekularer Ebene und in Echtzeit.

Ändern will das Inge Herrmann, die Leiterin des Ingenuity Labs an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich. Sie ist auch Professorin an der Universität Zürich, Dozentin an der ETH und Forschungsgruppenleiterin am Materialforschungsinstitut Empa. Mit ihrem Team entwickelt sie im Projekt «SonoGuard» eine Technologie, die es ermöglichen wird, solche tief im Körper liegenden Komplikationen frühzeitig ohne Eingriff zu erkennen – und sogar zu behandeln. Die Werner Siemens-Stiftung unterstützt das innovative Vorhaben in den kommenden fünf Jahren mit 8 Millionen Schweizer Franken.

«Komplikationen nach medizinischen Eingriffen verursachen weltweit über vier Millionen Todesfälle pro Jahr», sagt Inge Herrmann. Besonders gravierend und schwierig zu erkennen seien solche unerwünschten Verläufe, wenn sie sich tief im Körper abspielten. «Eine Hautinfektion kann man oft von blossem Auge erkennen, tiefliegende Komplikationen hingegen werden oft erst bemerkt, wenn sie sich bereits stark ausgebreitet haben.»

Neuartiges Kontrastmittel

Ein Beispiel sind Operationen am Magen-Darm-Trakt – von der Speiseröhre bis zum Enddarm. Sie zählen zu den gefährlichsten Eingriffen überhaupt. Chirurginnen und Chirurgen müssen dabei oft frei werdende Darm-Enden miteinander verbinden. Solche Eingriffe bergen ein hohes Risiko, dass die Nahtstelle nicht sauber verheilt und undicht wird. An der Speiseröhre tritt eine solche Komplikation laut Inge Herrmann nach bis zu jedem fünften Eingriff auf, an der Bauchspeicheldrüse gar in ungefähr drei von zehn Fällen.

In der Folge gelangen Magen- und Darmsäfte in die Bauchhöhle. Das führt vorerst oft zu unspezifischen Symptomen, die schwierig zu erkennen sind. Mit der Zeit jedoch können solche undichten Nahtstellen schwere Infektionen verursachen, bis hin zu einer lebensgefährlichen Sepsis. Bis die Gefahr mit heutigen Methoden erkannt wird, ist die Infektion oft schon derart fortgeschritten, dass eine Behandlung schwierig wird – oder es ist sogar schon zu spät.

Im Projekt SonoGuard wollen Inge Herrmann und ihr Team solche inneren Wunden nach einer Operation kontinuierlich überwachen. Gelingen soll dies mit einer cleveren Technologie, die Doktorand Benjamin Suter entwickelt hat. Die Details sind noch geheim, weil der Patentierungsprozess für manche Komponenten und Entwicklungen läuft. Den Kern bilde aber ein neu entwickeltes Kontrastmittel, erzählt Benjamin Suter. «Mittels Ultraschall können wir es derart anregen, dass es ein klares, krankheitsspezifisches Signal abgibt, das sich deutlich von Signalen des körpereigenen Gewebes unterscheidet.»

Aktiviert durch Magensäure

Für eine kontinuierliche Überwachung an einer bestimmten Körperstelle braucht es aber weitere Erfindungen: So haben die Forschenden eine Methode entwickelt, das sicherstellt, dass ihr Kontrastmittel erst dann im Körper aktiviert wird, wenn die Komplikation auftritt. «Wir versehen das Kontrastmittel mit ganz bestimmten Substanzen, um es in einen inaktiven Grundzustand zu versetzen», erklärt Inge Herrmann. «Diese Substanzen präparieren wir so, dass sie bei ganz bestimmten biologischen Veränderungen das Kontrastmittel aktivieren.»

Im Beispiel des Verdauungstrakt-Lecks etwa könnte auslaufende Magensäure als Auslöser dienen. Diesbezüglich haben die Forschenden bereits Vorarbeit geleistet: Dass eine solche Säure-induzierte Früherkennung von Naht-Undichtigkeiten funktionieren kann, haben sie schon früher mit einem etwas anderen Sensor-Ansatz nachgewiesen.

Das SonoGuard-System soll aber nicht nur überwachen und eine Komplikation anzeigen, sondern sie am besten gleich selbst beseitigen. Dazu werden die Forschenden Methoden entwickeln, um beispielsweise Antibiotika oder entzündungshemmenden Medikamente in das Kontrastmittel zu integrieren. «Diese Therapeutika lassen sich ebenfalls mittels Ultraschall bei Bedarf freisetzen», sagt Inge Herrmann. «Wir verbinden also das Frühwarnsystem mit einer nicht-invasiven Behandlung.»

Ins Pflaster integriert

Eine wichtige Forschungsfrage in dem Projekt ist es, wie sich die Kontrastmittel-Sensoren so an der Nahtstelle platzieren lassen, dass sie über Tage oder gar Wochen stabil an Ort und Stelle bleiben. Auch dazu kann das Team auf Vorarbeiten zurückgreifen. In einem früheren Projekt entwickelten die Forschenden ein Hydrogel-Pflaster, dessen Haftfähigkeit bis zu zehnmal höher ist als jene herkömmlicher Klebematerialien. Es eignet sich dazu, Operationswunden wie jene im Magen-Darm-Trakt stabil abzudichten – zudem liesse sich das Kontrastmittel integrieren.

Das Attraktive am SonoGuard-Ansatz ist seine Einfachheit. «Wir bringen keine Elektronik in den Körper, sondern einfache, biokompatible Materialien», sagt Inge Herrmann. Zudem seien keine aufwändigen Methoden nötig, um die Signale zu interpretieren, sondern ein handliches Gerät, das die Forschenden ebenfalls entwickeln werden.

Obwohl die Forscherin SonoGuard als «Hochrisiko-Projekt» bezeichnet, ist sie optimistisch, dass es ein Erfolg wird. «Wir können auf vielem aufbauen», sagt sie. Im Labor funktionierten die für das Projekt entwickelten Techniken bereits sehr schön. «Aber wenn man in lebende Organismen geht, tauchen stets Überraschungen auf», sagt Benjamin Suter. Und es stellen sich neue Fragen: Bleiben die Substanzen im Körper auch wirklich stabil? Lassen sich die Signale auch dann gut auslesen, wenn Menschen sich ständig bewegen – oder wenn jemand unter einer Darmkrankheit leidet?

Nebenwirkungen sind tabu

Kommt hinzu, dass überraschend wenig bekannt ist über das Milieu im Körper, in dem sich die SonoGuard-Komponenten bewähren müssen. Man kenne die Hauptverdauungsenzyme in den Verdauungsflüssigkeiten, erklärt Herrmann. Doch der pH-Wert im Magen beispielsweise könnte sich von Mensch zu Mensch unterscheiden oder von Tageszeit und Ernährung beeinflusst sein. «Wir untersuchen deshalb die Wundflüssigkeit von Patientinnen und Patienten, die operiert wurden, um unser System auf diese Variabilität einzustellen.»

Solche Untersuchungen sollen nicht nur sicherstellen, dass SonoGuard bei möglichst allen Patientinnen und Patienten mit Darm-Operations-Komplikationen funktioniert. Sie werden auch mithelfen, allfällige Nebenwirkungen zu vermeiden. Denn klar ist: Das System darf keinerlei Nachteile oder Probleme mit sich bringen. Denn schliesslich würde man das Kontrastmittel direkt bei der Operation in den Körper bringen – also auch bei all jenen Patientinnen und Patienten, bei denen in der Folge keinerlei Komplikationen auftreten.

Ein solches Frühwarnsystem im Körper wäre ein enormer medizinischer Fortschritt. Ihr Team arbeite für die Entwicklung eng mit Chirurgen zusammen, erzählt Inge Herrmann. «Das ist wichtig – schliesslich müssen wir die Bedürfnisse jener verstehen, die es am Ende anwenden sollen.» Dabei merke sie immer wieder, dass Chirurginnen und Chirurgen sich sehr für SonoGuard interessierten. Denn neben den Gesundheitsrisiken verursachen Lecks nach Darmoperationen auch hohe Folgekosten – um die 40‘000 Franken pro Fall.

Einsatz bei Implantaten

Im Visier hat «SonoGuard» nicht nur Darmoperationen, sondern auch weitere postoperative Komplikationen – etwa beim Einsetzen von künstlichen Knie- oder Hüftgelenken. Bis zu fünf Prozent aller Patientinnen und Patienten mit solchen Implantaten entwickeln nach der Operation eine Infektion. Die Folgen reichen von Schmerzen und einer verzögerten Heilung über die Notwendigkeit einer erneuten Operation bis zu Gewebeschäden, Infektionen im ganzen Körper oder gar zu einer Amputation.

Auch für solche Implantat-assoziierte Infektionen fehlen zuverlässige Früherkennungsmethoden – und auch für sie könnte sich das SonoGuard-System eignen. Allerdings sei die Entwicklung wohl herausfordernder als bei Magen-Darm-Lecks, gibt Inge Herrmann zu bedenken. «Wenn Magensäure aus dem Magen-Darm-Trakt austritt, ist das ein eindeutiger Hinweis auf eine Komplikation. Bei Implantat-Infektionen ist die Lage komplizierter, zum Beispiel weil es unterschiedliche Erreger gibt und relevante Biomarker erst noch identifiziert werden müssen.»

Der SonoGuard-Forschungsplan ist ambitioniert: Geplant ist, in den ersten drei Jahren die Sensor-Plattform und Integration der Therapeutika weiterzuentwickeln und zu optimieren, die Verabreichungswege zu etablieren und im Labor zu perfektionieren. In der zweiten Projektphase möchten die Forschenden ihr System in lebenden Systemen testen – und ein handliches Auslesegerät entwickeln, das direkt am Patientenbett einsetzbar sein wird.

 

 

Zahlen und Fakten

Mittel der Werner Siemens-Stiftung

8 Mio. Schweizer Franken

Projektdauer

2025 – 2030

Projektleitung

Prof. Dr. Inge Herrmann, Universitätsklinik Balgrist,
The Ingenuity Lab, Zürich