Die am Universitäts-Kinderspital Zürich entwickelte PV-Skin ist der weltweit erste Hautersatz, der vier verschiedene Zelltypen der menschlichen Haut enthält.

Die Haut aus dem Labor

Seit mehr als 25 Jahren arbeitet das Universitäts-Kinderspital Zürich an einem Hautersatz für Kinder und Jugendliche mit schweren Verbrennungen. Nun haben die Forschenden ihn so weiterentwickelt, dass er der natürlichen Haut sehr nahe kommt. Dank der Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung (WSS) kann er erstmals an Patienten getestet werden.

Ein Griff auf die Herdplatte oder aufs heisse Backblech, eine Unachtsamkeit am Feuer oder mit einer Kerze, ein Unfall mit der Fritteuse, eine umgestossene Teetasse: Verbrennungen und Verbrühungen sind rasch passiert – gerade bei Kindern. Meist handelt es sich nur um oberflächliche Verletzungen, die von selbst heilen. Aber in manchen Fällen wird die Haut durch die Hitze derart geschädigt, dass ärztliche Hilfe nötig ist. Im Jahr 2019 erlitten weltweit mehr als neun Millionen Menschen Verletzungen durch Verbrennungen oder Verbrühungen. 111‘000 starben, mehr als 1,5 Millionen trugen lebenslange Behinderungen davon.

Solche Verletzungen werden im schweizweit einzigartigen Zentrum für brandverletzte Kinder am Universitäts-Kinderspital Zürich behandelt. Und nicht nur das: Hier arbeiten Kliniker und Forscherinnen auch an einer Entwicklung, die das Leben von brandverletzten Menschen verändern könnte: am weltweit ersten Hautersatz, der echter Haut extrem nahekommt. PV-Skin, wie das Produkt heisst, ist inzwischen so weit entwickelt, dass sie am Menschen getestet werden kann – zuerst auf ihre Sicherheit. Diese sogenannte Phase-I-Studie fördert die Werner Siemens-Stiftung (WSS) in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 1,5 Millionen Schweizer Franken.

Dünn, steif, dicke Narben

Die Haut ist das grösste menschliche Organ und die wichtigste Schutzbarriere des Körpers. Sie ist ein Wunder der Natur mit enormer Regenerationsfähigkeit: In der untersten Schicht der Oberhaut, der Epidermis, bilden sich fortlaufend Zellen und gelangen an die Oberfläche, wo sie verhornen und absterben. Ungefähr alle vier Wochen erneuert sich die Epidermis auf diese Weise neu. Deshalb verheilen leichte Verbrennungen und Verbrühungen von selbst.

Je tiefer jedoch eine Verletzung, desto schwieriger wird die Haut-Regeneration. Die meisten der dazu nötigen Stammzellen befinden sich in der untersten Schicht der Epidermis, einige wenige noch tiefer, in der Lederhaut oder Dermis. «Sind diese Stammzellen beschädigt, kann die Haut nicht mehr von selbst nachwachsen», sagt Sophie Böttcher. Sie ist Leitende Ärztin am Universitäts-Kinderspital Zürich und als Leiterin der Forschungsgruppe SSTaRC (Skin and Soft Tissue Research Center) verantwortlich für die Entwicklung von PV-Skin.

Die Behandlung von schweren Verbrennungen habe in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht, erzählt Böttcher. «Die Überlebenschancen von Patientinnen und Patienten haben sich deutlich verbessert.» Aber die heute verwendeten Hauttransplantations-Methoden führen oft zu Einschränkungen. Die Hauttransplantate sind dünn und durch den Heilungsprozess oft steif. Im Verlauf der Heilung entstehen oft dicke Narben, die Gelenke und Bewegungen blockieren und zuweilen auch die Betroffenen stigmatisieren. «Kinder mit schweren Verbrennungen leiden oft ein Leben lang unter den Folgen von Narben, eingeschränkter Mobilität und auch weil sie angestarrt und darauf angesprochen werden», erzählt Sophie Böttcher.

Startup mit erstem Hautersatz

Die heutige Standardbehandlung von brandverletzten Kindern ist die Verpflanzung von Eigenhaut. Der Patientin oder dem Patienten wird an einer unversehrten Körperstelle eine dünne Hautschicht, die Spalthaut, entnommen und auf die gesäuberte Wunde transplantiert. Dieser Behandlung sind allerdings Grenzen gesetzt: Bei grossflächigen Verbrennungen oder Verbrühungen steht schlicht nicht mehr genügend unversehrte Haut für die Spalthautentnahme zur Verfügung. Zudem bleiben bei dieser Form der Therapie oft lebenslange Narben zurück. Die Transplantation von Spenderhaut wiederum ist nur eine vorübergehende Option, da der Körper fremde Haut von Organspendern abstösst.

Am Universitäts-Kinderspital Zürich begann deshalb schon vor über einem Vierteljahrhundert die Forschung an einem Hautersatz aus patienteneigenen Zellen. Zwei Generationen von Forschenden haben diese Entwicklung seither vorangetrieben: Der ehemalige Direktor der Kinderchirurgie, Martin Meuli, initiierte die Forschung; Ernst Reichmann baute die Forschungsgruppe für Gewebebiologie auf; und Clemens Schiestl war lange Jahre Leiter der Forschung und des Zentrums für brandverletzte Kinder. Vor einigen Jahren gelang es dem Team, einen ersten Hautersatz namens «denovoSkin» zu entwickeln. Ein Startup perfektioniert ihn momentan und behandelt damit im Rahmen mehrerer klinischer Studien bereits Patientinnen und Patienten.

Im Vergleich zur aufwändigen, im Verlauf oft einschränkenden und nur beschränkt möglichen Spalthaut-Behandlung sei denovoSkin ein enormer Fortschritt, sagt Sophie Böttcher. «Trotzdem kommt es bei Weitem nicht an die Qualität natürlich entstandener Haut heran.» Das liegt vor allem daran, dass der denovoSkin-Hautersatz bloss zwei verschiedene Zelltypen enthält: die hornbildenden Zellen der Epidermis (Keratinozyten) und die Bindegewebszellen der Dermis (Fibroblasten). «Die menschliche Haut besteht aber aus diversen weiteren Zelltypen», erklärt Sophie Böttcher. So fehlen bei denovoSkin sowohl Pigmentzellen, die sogenannten Melanozyten, als auch Endothelzellen, aus denen Blutgefässe entstehen.

Hautfarbe und Blutgefässe

Genau diese beiden zusätzlichen Zelltypen sind der Kern von PV-Skin. Den Forschenden um Böttcher ist es gelungen, denovoSkin um Pigmentzellen und Blutgefässzellen zu erweitern. Entstanden ist weltweit erstmals ein Hautersatz mit vier verschiedenen Zelltypen. Das sei noch einmal ein Sprung nach vorne, sagt Böttcher. Die Pigmentzellen unterstützen eine Wiederherstellung der natürlichen Hautfarbe und bieten so auch einen UV-Schutz, der für die langfristige Gesundheit der Haut wichtig ist. Und die Endothelzellen fördern die Bildung von Blutgefässen – und versprechen auf diese Weise eine raschere und bessere Heilung.

Wie aber entsteht diese Ersatzhaut? Grob gesagt besteht der Prozess aus folgenden Schritten. Zuerst wird der Patientin oder dem Patienten ein briefmarkengrosses Stück Haut entnommen. Diese Probe wird im Labor mithilfe von Enzymen aufgelöst und in die vier Komponenten aufgeteilt: Keratinozyten, Fibroblasten, Melanozyten und Endothelzellen. Jeder Zelltyp wird in einer separaten Petrischale mit einem Nährmedium vermehrt.

Danach werden die Komponenten in einem Hydrogel vermischt und wieder zusammengebracht: Zuerst lassen die Forschenden eine untere Dermis-Schicht reifen, die vor allem aus den Fibroblasten und Endothelzellen besteht. Danach wächst darüber die Epidermis-Schicht, die vor allem Keratinozyten und Melanozyten enthält. In Wahrheit ist der Prozess allerdings deutlich komplexer und ausgeklügelter. «Es ist wie ein 100-seitiges Kochrezept», sagt Sophie Böttcher und lacht.

Raschere Heilung

Bislang hat ihr Team die neue PV-Skin in den Labors des Universitäts-Kinderspitals hergestellt und im «Reagenzglas» sowie an Versuchstieren getestet. Die Resultate sind vielversprechend. Die Ersatzhaut ist stabil und im Trägermedium bilden sich bereits Blutgefäss-Kapillaren. Dies führt dazu, dass sich der Hautersatz innerhalb von nur vier Tagen mit dem darunter liegenden Wundbett verbindet. «Das fördert die Sauerstoffversorgung, das Einwandern von Zellen und somit eine raschere Heilung» sagt Sophie Böttcher.

Mit dem nun geplanten Schritt zum Patienten steigt allerdings die Komplexität der Hautersatz-Herstellung. «Die Anforderungen der Behörden an solche biotechnologisch hergestellten Produkte sind äusserst streng – und in den letzten Jahren derart gewachsen, dass es europaweit nur noch wenige Labors gibt, die sich an die klinische Hautersatzforschung und -produktion wagen», sagt Sophie Böttcher. Die Materialien, die in der Klinik zum Einsatz kommen, müssen stets den denselben, höchsten Reinheits- und Qualitätsstandards entsprechen.  

Um dies zu gewährleisten, darf die Herstellung nur in sogenannten GMP-Labors stattfinden. GMP steht für «Good Manufacturing Practice». In solchen Labors herrschen strikte Richtlinien, jeder Arbeitsschritt ist geregelt und von den zuständigen Behörden – in der Schweiz von der Heilmittelzulassungsbehörde Swissmedic – vorgegeben und abgenommen. Momentan, erzählt Sophie Böttcher, arbeite ihr Team mit dem GMP-Labor des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) zusammen, um die Ersatzhaut für die geplante Studie in einem ersten Schritt dort herzustellen.

Labor im Zulassungsprozess

Mittelfristig soll die Produktion in einem eigenen GMP-Labor am Universitäts-Kinderspital möglich werden. Im Gebäude für Forschung und Lehre, das sich gleich neben dem Akutspital befindet, steht das Labor bereits. Man sieht schon von aussen, dass es sich um Hochsicherheits-Räumlichkeiten handelt: Teilweise sind die Räume von doppelten Wänden geschützt. Luftdruck und -feuchtigkeit, Temperatur sowie die Partikelzahl müssen ständig überwacht werden. Selbst die Kleidung der Forschenden ist speziell darauf ausgelegt, die Produkte zu schützen. Jeder Arbeitsschritt ist vordefiniert und wird lückenlos dokumentiert. Der Zulassungsprozess könne noch ein gutes Jahr dauern, schätzt Sophie Böttcher.

Danach sollen erste Patientinnen und Patienten im Rahmen der klinischen Studie mit der neuen PV-Skin behandelt werden. Und es wird sich herauskristallisieren, ob die Neuentwicklung sicher ist. «Wir haben aus den präklinischen Untersuchungen keinerlei Hinweise darauf, dass Infektionen oder Nebenwirkungen auftreten könnten», sagt Sophie Böttcher. Mehr noch: Sie ist überzeugt, dass die Studie auch bereits wichtige Informationen zur Qualität und zu den Vorteilen des neuartigen Hautersatzes gibt. Denn das Ziel ist eine stabile, elastische und widerstandsfähige Haut – so nah wie möglich am Original.

 

Zahlen und Fakten

Mittel der Werner Siemens-Stiftung

1,5 Mio. Schweizer Franken

Projektdauer

2025 – 2028

Projektleitung

PD Dr. med. Sophie Böttcher, Zentrum Kinderhaut – brandverletzte Kinder, plastische und rekonstruktive Chirurgie, Universitäts-Kinderspital Zürich