Benedikt Oeschger studiert Agrarwissenschaften an der ETH Zürich – und hat von der Schweizerischen Studienstiftung ein Werner Siemens-Fellowship zugesprochen erhalten.

Ein Wissens­sammler, der anpackt

Benedikt Oeschgers Engage­ments sind breit gefächert. Er studiert Agrarwissen­schaften, arbeitet regelmässig auf einem Rindermast-Betrieb, politisiert im Stadtparlament von Winterthur und engagiert sich in der Schweizerischen Studienstiftung. Ein Exzellenz-Stipendium der Werner Siemens-Stiftung hilft ihm, das alles unter einen Hut zu bringen.

Seine berufliche Laufbahn war für Benedikt Oeschger lange klar. Sein Vater ist Jurist, er selber besuchte das Wirtschaftsgymnasium Büelrain in Winterthur und plante ein Studium in Law & Economics an der Universität St. Gallen (HSG). Mit der Matura in der Tasche wollte er vor Studienbeginn als Assistent in einer Anwaltskanzlei jobben, um sich seiner Studienwahl zu vergewissern. Doch was ein Einstieg hätte werden sollen, wurde zu einer Verzweigung auf dem Lebensweg: Keine Kanzlei, kein Anwaltsbüro hatte auf den Maturanden gewartet. «Nach ungefähr 60 Bewerbungen und Telefonanrufen habe ich aufgehört zu zählen», erzählt er.

Nun ist Benedikt Oeschger ein vielseitig interessierter Mensch, der sich selbst als kontaktfreudig, initiativ und anpackend bezeichnet. So ist es kein Wunder, dass er bald eine Alternative fand: Durch seinen Biologielehrer am Gymnasium, der ihn die ganze Schulzeit für ein naturwissenschaftliches Studium zu motivieren versuchte, bekam er einen Tipp zu einem  Venture-Studio, das innovative, marktorientierte Startups im Klima- und Waldschutzprojekte entwickelt. «Dort übernahm ich eine Assistentenrolle und erhielt tiefe Einblicke in eine wahnsinnig spannende Welt», erzählt Oeschger. Für ihn begann ein naturwissenschaftliches Studium in den Vordergrund zu rücken.

Was für eines, war rasch klar: Schon als Kind hatten es Oeschger die Landwirtschaft und Nutztiere besonders angetan. Im Kindergarten sei er regelmässig zum Ponyreiten gegangen, erzählt er. «Aber eigentlich machten mir das Misten, Striegeln und Füttern mehr Freude als das Reiten.» Und während andere Kinder von Löwen und Elefanten schwärmten, war sein Lieblingstier die Ziege. «Sie ist eigenständig und clever, gibt Milch und Fleisch und taugt als Landschaftspflegerin», sagt Oeschger. «Ich half oft im Milchziegenbetrieb von Verwandten in Bayern und wollte damals Geissenhirt werden.»

Ein Studienfach, das jeden betrifft

Oeschger schrieb sich deshalb für ein Studium der Agrarwissenschaften an der ETH Zürich ein. Heute steht der 24-Jährige kurz vor der Masterarbeit – und bereut seinen Entscheid keine Sekunde. Ihm gefalle der naturwissenschaftliche Ansatz des Studiengangs, erzählt er. Gleichzeitig sei das Fach eingebettet in Wirtschaft und Gesellschaft. «Wenn es in einer Apéro-Runde darum geht, wer was macht, bleibt das Gespräch oft an meinem Studium hängen. In der Agrarwissenschaft fliessen Ernährung, Umwelt, Politik und Ethik zusammen – das betrifft uns alle unmittelbar.»

Und es ist ein Fach, das Möglichkeiten in aller Welt bietet. Seine Bachelorarbeit etwa führte Benedikt Oeschger nach Florencia, eine frühere Hochburg der Guerilla-Organisation FARC in Kolumbien. «Eine kolumbianische Dozentin sagte mir, dorthin würde sie sich nie getrauen», sagt er und lächelt verschmitzt. Er selber verbrachte dreieinhalb Wochen dort. Zwar seien die Kontrollposten auf der Strasse gewöhnungsbedürftig gewesen, erzählt er. Aber bedroht gefühlt, habe er sich nie.

Die Bachelorarbeit war Teil eines Projekts mit dem Ziel, die Produktivität von Weiden nachhaltig zu erhöhen, um den Druck auf die Abholzung des Amazonas-Regenwalds zu reduzieren. Für die Arbeit erntete Benedikt Oeschger Versuchsflächen auf Weiden mit Leguminosen und Urochloa-Gräsern, um den Phosphor-Ernährungszustand der Pflanzen in Abhängigkeit zur Stickstoffversorgung zu quantifizieren. Leguminosen wie der Klee in den Schweizer Wiesen sind bekannt dafür, dass sie Stickstoff, den wichtigsten Pflanzennährstoff, im Boden fixieren. Und manche Urochloa-Gräser, die in Kolumbien als Viehfutter genutzt werden, verfügen über die Fähigkeit, durch ganz bestimmte Wirkstoffe die Stickstoff-Auswaschung aus dem Boden zu verlangsamen. Mischkulturen aus beiden Pflanzentypen könnten deshalb Erträge steigern.

Zwischen Appenzell und Amerika

Im Masterstudium wechselte Oeschger aber von den Pflanzen zu seiner grossen Liebe, den Nutztieren, und entschied sich für eine Vertiefung in Tierwissenschaften. Er verbrachte ein Austauschsemester am Department für Animal Sciences an der Purdue Universität im US-Bundesstaat Indiana. Die Agrarwissenschaft, die in den USA gelehrt werde, sei ganz anders als bei uns, erzählt er. Im Vordergrund stehe die Produktivität und Spezialisierung; der Systemgedanke sei kaum ausgeprägt und die Sparte «Tierwohl» beschränke sich im Wesentlichen darauf, die Nutztiere gesund genug zu behalten, damit sie vollen Ertrag lieferten.

Seine Sicht auf eine moderne Landwirtschaft ist eine andere. «Mir ist eine produktive Landwirtschaft wichtig», sagt er, «aber eingebettet im Gesamtsystem unter Berücksichtigung des Tierwohls und der Umwelt.» Der Aufenthalt in den USA habe ihm sehr gefallen, besonders der kompetitive Geist wie an der North American Intercollegiate Dairy Challenge, an der Studierende aus den ganzen USA und Kanada zusammenkommen und sich im Beraten von Milchwirtschaftsbetrieben messen. Ebenfalls gefallen hat ihm die Anwendungsorientiertheit des Studiums. «Uns Studierenden wurde viel eigener Umgang mit den Tieren ermöglicht. Wir durften zum Beispiel selbst Ziegen besamen – das wäre im Studium in der Schweiz kaum vorstellbar.»

Auf den Umgang mit Tieren verzichten muss Benedikt Oeschger trotzdem nicht. Die Eltern seines besten Studienfreundes betreiben im Kanton Appenzell Ausserrhoden einen innovativen Bauernbetrieb. Sie bauen für eine Bierbrauerei Getreide an – und verfüttern im Gegenzug Brau-Nebenprodukte wie Biertreber, Biervorlauf und Bierhefe an ihre Kälber und Rinder. Oeschger hat auf dem Hof das Bachelorpraktikum absolviert und hilft auch heute regelmässig aus. «Ich arbeite gern auf dem Hof, das ist ein Ausgleich zum Studium», sagt er.

Jüngstes Mitglied im Stadtparlament

Ein weiteres Wirkungsfeld ist die Politik. Auch das Interesse daran begleitet Benedikt Oeschger seit Kindesbeinen. Schon in der Primarschule lancierte er eine Petition für den Erhalt der Schulbibliothek und schrieb dem Winterthurer Stadtrat einen Brief, um die Sanierung des Schulbrunnens zu fordern. Später, im Gymnasium, gründete er die schulinterne Klimagruppe mit – und schrieb eine Maturarbeit mit einem Beratungsunternehmen zur Frage, wie verhaltensökonomische Ansätze zum Schutz von Umwelt und Klima eingesetzt werden können.

Bei der Maturfeier wurde ein Politiker der Grünliberalen Partei auf Oeschger aufmerksam – und dieser liess sich auf die Wahlliste für das Winterthurer Stadtparlament setzen. Er schaffte es prompt auf den ersten Ersatzplatz. 2023 rückte er schliesslich als jüngstes Mitglied in den Rat nach. Der Aufwand für das Amt sei nicht zu unterschätzen, sagt Oeschger. Das Winterthurer Stadtparlament tagt einmal pro Monat, drei weitere Abende im Monat sind reserviert für die Arbeit in der vorberatenden Kommission für Soziales und Sicherheit, in der Oeschger Einsitz nimmt. Dazu kommen die Vorbereitung, die informellen Sitzungen und Informationsanlässe.

Das politische Amt erfülle ihn mit grosser Zufriedenheit, sagt Oeschger. «Es ist eine sinnhafte, gemeinnützige Tätigkeit.» Gleichzeitig profitiere er enorm. Als Kommissionsmitglied erhält er Einladungen, um den neuen Standort der städtischen Jugendberatung zu besichtigen oder sich beim Schnuppern bei der Spitex aus erster Hand informieren zu lassen. Einmal begleitete er die Polizei auf einer Nachtschicht. «Das gibt mir tiefe Einblicke ins Funktionieren der öffentlichen Verwaltung», sagt er.

Ein hilfreiches Stipendium

Auch bei der Schweizerischen Studienstiftung, die ihn seit Beginn seines Studiums fördert, nutzt er so viele Bildungs- und Netzwerkangebote wie er kann. Ein Strafrechtsseminar, ein Rhetorikkurs und ein Programmierworkshop sind nur einige Beispiele von Veranstaltungen, die er besucht. Ein Highlight war für ihn die Teilnahme an der zweiwöchigen Summer School zum Ernährungssystem in Kenia.

Gemeinsam mit einer Kollegin organisierte er sogar selbst ein Seminar zum Thema Wald und Holz. Die Teilnehmenden folgten der Wertschöpfungskette und besuchten unter anderem einen Forstbetrieb, eine Sägerei und das Waldlabor Zürich. Ein weiteres Seminar hat Benedikt Oeschger zum Thema Fleischproduktion durchgeführt, mitsamt einem Besuch auf dem Hof im Appenzellischen und eines Schlachthauses. «Solche Anlässe sollten mehr bieten als nur Vorträge im Hörsaal», sagt er.

In der Studienstiftung vertritt Benedikt Oeschger ab 2026 für zwei Jahre die Geförderten im Stiftungsrat. Und er erhielt von der Studienstiftung bereits für zwei Förderperioden ein Werner Siemens-Fellowship zugesprochen. Ein solches Stipendium wird jährlich an zehn herausragende Studierende im MINT-Bereich, in Medizin oder Pharmazeutik vergeben. Es handelt sich um Exzellenz-Stipendien, die es talentierten und ambitionierten jungen Menschen ermöglichen, ihre Ausbildung und Entwicklung zielgerichtet zu verfolgen.

Das WSS-Stipendium half Benedikt Oeschger einerseits, sein Austauschsemester in den USA zu finanzieren. Andererseits ermöglicht es ihm, sich auf das Studium zu konzentrieren und trotzdem seine vielfältigen Engagements aufrecht zu erhalten. So ist er zur Stelle, wenn Vereine Helferschichten besetzen müssen oder ist in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Winterthur aktiv.

Doktorat? Vielleicht

Noch hat der angehende Agrarwissenschaftler zwei Brocken zu bewältigen, bevor er sein Studium abschliesst: Nach den letzten Vorlesungen wird er ein Praktikum in der Geflügelforschung am Aviforum, dem Kompetenzzentrum der Schweizer Geflügelwirtschaft, absolvieren. Und danach steht die Masterarbeit an. Ideen hat er als wissens- und erfahrensbegieriger Mensch einige. «Aber ich stehe noch in Abklärungen und Gesprächen mit verschiedenen Institutionen», sagt er und schmunzelt.

Und wie geht es danach weiter? «Die Forschung interessiert mich sehr, deshalb könnte ich mir ein Doktorat vorstellen», sagt Benedikt Oeschger. «Aber mit einem Studium in Agrarwissenschaften gibt es auch viele andere spannende Möglichkeiten – etwa bei einem Branchenverband oder international tätigen Konzern.» In welche Richtung ihn seine Laufbahn führen wird, ist also noch nicht bestimmt.

Wer mit Benedikt Oeschger spricht, spürt: Dieser junge Mensch saugt Wissen auf und sammelt Erfahrungen, wo immer es möglich ist. All diese Erfahrungen sind Puzzlesteine, die ihm dabei helfen, seinen Weg zu finden.