Karibische Hornkoralle.
Die geschützte karibische Hornkoralle produziert einen wertvollen antibiotischen Wirkstoff – diesen können die Forschenden der Synthetischen Biotechnologie nun mithilfe genetisch optimierter Kolibakterien im Labor herstellen.

Der Natur abgeschaut

Neuer entzündungshemmender Wirkstoff, neues Antibiotikum, CO2-neutrales Carbon, Ersatz für Palmöl, Algen als Kraftstofflieferanten – das sind noch nicht einmal alle Themen, die am Lehrstuhl für Synthetische Biotechnologie an der Technischen  Universität München bearbeitet werden. Doch Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück weiss, dass er und sein Team «zwar vieles, aber nicht alles können». Was ihnen fehlt, holt Brück über Kooperationspartner aus Forschung und Industrie ins Projekt. Auch ein regelmässiger Austausch unter den Geförderten der Werner Siemens-Stiftung schwebt ihm vor.

«Die Werner Siemens-Stiftung fördert weltbeste Forschung. Und die muss man nutzen.» Der Biochemiker Thomas Brück spart nicht mit Superlativen, wenn es um die von der Werner Siemens-Stiftung geförderten Kolleginnen und Kollegen geht. Um gegenseitig vom Know-how zu profitieren, würde er gerne mal «zusammensitzen und fragen: Woran arbeitet ihr?». Er könnte sich durchaus vorstellen, dass daraus gemeinsame Drittmittel-Projekte entstehen. Auch dass sich die Werner Siemens-Lehrstühle zu grösseren Verbünden zusammenschliessen, wäre für ihn eine Option. 

Kooperationspartner in Israel

Brück ist ein Meister der Kooperation. Die wohl wichtigste Kooperation im Jahr 2020 ist die neue Zusammenarbeit mit dem renommierten Weizmann Institute of Science und mit der Bar-Ilan-Universität in Israel. Gemeinsam wurde ein Hochtechnologieprojekt gestartet, das die Produktion neuer entzündungshemmender Wirkstoffe ermöglicht. Brücks Wirkstoff der Wahl ist Cyclooctatin. In geringen Mengen kann sein Team Cyclooctatin bereits seit sechs Jahren biotechnologisch herstellen. Dank der Zusammenarbeit mit den israelischen Partnern wird die Produktion von grösseren Mengen möglich. «Die israelischen Kollegen aus der Bioinformatik haben neue Rechen-Algorithmen entworfen, wie man die Oberflächenstruktur und das aktive Zentrum eines Schlüsselenzyms verbessern kann, um so die Effizienz und Stabilität des Gesamtprozesses zu erhöhen», sagt Brück. «Wir hatten diese Kompetenzen nicht. Die Kollegen in Israel jedoch sind in diesem Spezialgebiet der Bioinformatik Weltspitze.» 

Wirkstoff gegen Entzündungsprozesse

Die Daten und Ergebnisse, die die israelischen Bioinformatiker liefern, will Brück nutzen, um am Werner Siemens-Lehrstuhl für Synthetische Biotechnologie (WSSB) in München seine Cyclooctatin herstellenden Enzyme besser zu machen. «So können wir ein komplett neues entzündungshemmendes Mittel herstellen, das potenziell weniger Nebenwirkungen hat als bereits im Markt etablierte Produkte.» Brück möchte den neuen Wirkstoff in die klinische Prüfung bringen. «Dazu müssen wir ihn kiloweise bereitstellen können», erklärt er. Dank dem Know-how der israelischen Spitzenkräfte kann er den Produktionsprozess von Cyclooctatin stabiler und ertragreicher machen. 

Nach dem Vorbild der Korallen

Auch gegen Bakterien, genauer: gegen multiresistente Tuberkulose-Bakterien hat Brücks Team Mitte 2020 einen Wirkstoff-Produktionsprozess entwickelt. Sein Team bildete dazu den natürlich vorkommenden antibiotischen Wirkstoff Erogorgiaen biotechnologisch nach. In der Natur wird Erogorgiaen von der karibischen Hornkoralle produziert. Doch sind Korallenriffe ökologisch viel zu wertvoll, als dass man sie zur Gewinnung von Erogorgiaen zerstören dürfte. Und sie sind geschützt. Ausserdem produzieren die Hornkorallen den Wirkstoff nur in geringen Mengen. Thomas Brück, seiner Doktorandin Marion Ringel und Kolleginnen und Kollegen aus Berlin, Kanada und Australien ist es nun gelungen, das antibiotisch wirkende Erogorgiaen ohne eine einzige Koralle im Labor herzustellen. Die Hauptarbeit übernehmen dabei genetisch optimierte Kolibakterien. Sie werden mit Glycerin gefüttert (einem Reststoff aus der Biodiesel-Produktion) und produzieren daraufhin ein Molekül, das sich mithilfe von Enzymen in Erogorgiaen verwandeln lässt – und das ohne Abfall, da alle Nebenprodukte in einem geschlossenen Kreislauf wiederverwendet werden können. Das innovative Verfahren, das grössere Mengen Erogorgiaen zu produzieren erlaubt und dabei auch noch kostengünstig ist, wurde zum Patent angemeldet. 

Foto: Thomas Brück/TUM

Green Carbon

Green Carbon, die letztjährige «Erfindung» von Thomas Brück und seinem Team, hat in den vergangenen zwölf Monaten richtig Fahrt aufgenommen. Verschiedene Industrieunternehmen zeigen sich interessiert an der CO2-neutralen Produktion von Carbon aus Algen. Grosse internationale Sportartikelhersteller möchten Hochleistungssportgeräte und Bekleidungsartikel aus grünem Carbon machen. «Ich hätte nicht gedacht, dass das ein Anwendungsbereich sein könnte», gibt Thomas Brück zu. An den Einsatz im Baubereich hingegen hat Brück sehr wohl gedacht. So hat sein Team zusammen mit dem deutschen Partnerunternehmen TechnoCarbon Technologies für eine finnische Baufirma einen sechs Meter langen Prototypen eines T-Trägers gebaut. Die finnische Firma will den Carbon-Stein-Verbundwerkstoff im Baubereich einsetzen. 

Grüner bauen

«Die Kombination von grünen Carbonfasern und Stein ist für die Baubranche ein perfekter Ersatz für Stahl», sagt Brück. Auch grosse, anspruchsvolle Bauten wie Brücken können damit realisiert werden. Brücks Team hat eine sogenannte Bewehrung hergestellt, das ist eine verstärkende Konstruktion innerhalb eines Betonträgers. Normalerweise wird eine Bewehrung aus Stahl gemacht. Doch Stahl verliert mit der Zeit seine Dehnbarkeit und beginnt zu rosten, wodurch es zu Spannungsrissen kommen kann. Der Carbon-Stein-Verbundwerkstoff hingegen rostet nicht, wiegt halb so viel und ist gleich stabil wie Stahl, so Brück. Das haben unabhängige Tests gezeigt. «Die Resultate der DIN-genormten Belastbarkeitstests sind wirklich überraschend – auch für uns», sagt Brück. Auch dem Beton macht die Kombination aus grünen Carbonfasern und Stein Konkurrenz. Denn daraus lassen sich auch sehr dünne und tragfähige Wände oder Böden bauen. Besonders «grün» wäre ein Fertigbau-Modulsystem, das ohne Zement auskommt. «Damit würde man eine grosse CO2-Reduktion im Bauwesen erreichen, denn die Zementherstellung verantwortet aktuell etwa fünf Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses», sagt Brück. Die Herstellung des Carbon-Stein-Verbundwerkstoffs hingegen basiert auf Algen, die CO2 absorbieren. «Unser Herstellungsprozess von Carbon mittels Algen absorbiert mehr CO2, als er ausstösst», sagt Brück. «Mit dem grünen Carbon könnten wir den Baubereich revolutionieren.»

Wertschöpfungsketten 

Der deutsche Verband des Carbonfaser-produzierenden und -nutzenden Gewerbes (Composite United e.V.), verschiedene Bundesministerien und namhafte Chemiefirmen sind bereits mit Brück in Kontakt getreten, um die Technologie zur Herstellung der grünen Carbonfaser marktreif zu machen und so eine permanente CO2-Senke zu schaffen. Als nächstes muss sich Brück nun ein Produktionsverfahren überlegen, das in kühlen Regionen funktioniert und nicht von Wärme und Sonne abhängig ist wie die algenbasierte Carbon-Herstellung. Eine Möglichkeit wäre die Gasfermentation. Diese weist zwei grosse Pluspunkte auf: «Die Gasfermentation liesse sich erstens mit unseren Ölhefe-Reaktoren verbinden», sagt der Biotechnologe. «Das Öl, das unsere Hefen herstellen, könnte sehr effizient für die Carbonfaserproduktion verwendet werden. Und zweitens wäre es möglich, das Verfahren mit der Herstellung von grünem Wasserstoff zu koppeln.» 

Grüner Wasserstoff

Wasserstoff gilt derzeit als aussichtsreiche Alternative zu fossilen Brennstoffen, erklärt Brück seinen Gedankensprung zu Wasserstoff. Wasserstoff möchte er in einem geschlossenen, wertschöpfenden, biologisch-chemischen Stoffkreislauf herstellen. Vereinfacht sieht der Kreislauf so aus: Wasserstoff wird durch die Spaltung von Wasser mittels Windenergie und Solarstrom gewonnen. Dabei entsteht neben dem Wasserstoff viel reiner Sauerstoff. Den reinen Sauerstoff gedenkt Brück den Hefen in seinem Bioreaktor zuzuführen; die Hefen lieben reinen Sauerstoff und produzieren dadurch viel Biomasse und Öl. Den Wasserstoff wiederum sowie das ebenfalls entstandene CO2 will Brück in einer Gasfermentation nutzen und in Essigsäure umwandeln. Die Essigsäure wird zusammen mit Zucker aus biogenen Reststoffen wie Stroh an die Ölhefen verfüttert, worauf die Hefen in kurzer Zeit sehr viel Öl produzieren. Auf dieses spezielle Verfahren hält der WSSB seit 2019 ein Patent. Das resultierende Hefeöl kann durch biotechnologische und nachhaltige chemische Prozesse in viele verschiedene Grundstoffe umgewandelt werden. Seit Neuem auch in einen Palmöl-Ersatz. 

Palmöl-Ersatz

Palmöl ist ein sehr beliebter Rohstoff, für dessen Anbau aber Regenwälder zerstört werden. «Wir haben jetzt einen kompletten Ersatz für Palmöl», freut sich Brück. Den Palmöl-Ersatz auf den Markt bringen wird ein neu gegründeter Spin-off mit dem Namen Global Sustainable Transformation. Bereits wurde mit einem Nahrungsmittelkonzern aus den USA vereinbart, dass er das Hefeöl als Ersatz für Palmöl produzieren darf. 

Kraftstoff aus Algen

Der Lockdown wegen der Covid-19-Pandemie im Frühling 2020 brachte die Experimente in den Labors des WSSB zum Erliegen. «Gleichzeitig führte der dreimonatige Stillstand aber auch dazu, dass einige Firmen realisierten, dass sie das Thema Nachhaltigkeit ernster nehmen müssen, um langfristig im Markt zu bestehen», erzählt Brück. So auch der Flugzeughersteller Airbus. Airbus überlegt sich derzeit intensiv, wie sich das Fluggeschäft nachhaltiger ausrichten liesse. Mit an Bord der umfangreichen Strategiegruppe ist neben diversen Zulieferern auch Thomas Brück. Aktuell überlegt sich Brück mit Industrievertretern, wie und wo die Algen-Produktion für die Herstellung des nachhaltigen Kraftstoffs hochgefahren werden könnte. Brück liebäugelt mit einer 100 Hektar grossen Algen-Produktionsstätte in Italien. Weshalb gerade Italien? «Weil Airbus auch in Italien präsent ist», antwortet Brück, «und weil Italien eine grosse Nahrungsmittelindustrie hat.» Nahrungsmittelindustrie? «Ja – ich würde sehr gerne mal eine richtig gute Algennudel kreieren.» 

Text: Brigitt Blöchlinger
Foto: Andreas Heddergott/TUM