Foto von "Grünem" Carbon.
Carbon ist fest und leicht und deshalb ein beliebtes Baumaterial; seine Herstellung jedoch heizt den Klimawandel an. Die Lösung präsentiert das Team der Synthetischen Biotechnologie: «Grünes» Carbon, dessen Herstellung der Atmosphäre mehr CO2 entzieht, als sie freisetzt.

Grünes Carbon

Auch 2019 war ein erfolgreiches Jahr für die Synthetische Biotechnologie an der Technischen Universität München. Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück und sein Team konnten mit ihrem Bio-Insektenspray, der Schädlinge vertreibt, statt zu töten, bedeutende Partner aus Industrie und Forschung überzeugen. Einen weiteren Coup landeten sie mit «Green Carbon», einem CO2-neutralen Verfahren zur Herstellung von Carbonfasern.

Der innovative Bio-Insektenspray, den Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück und sein Team im Jahr 2018 entwickelt hatten, kam zur richtigen Zeit. Die EU hatte kurz zuvor die damals gängigen Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide verboten, da sie nicht nur Schädlinge, sondern auch Nützlinge wie Bienen oder Schmetterlinge vernichteten. Der Bio-Insektenspray des Teams um Thomas Brück hingegen tötet Insekten nicht, sondern vertreibt sie für eine gewisse Zeit durch den Duftstoff Cembratrienol.

Optimierung des Insektensprays

2019 konnte Thomas Brück das Institut für Zuckerrübenforschung in Göttingen und das deutsche Agrounternehmen Südzucker für erste Tests des Bio-Insektensprays gewinnen. Die Tests bestätigten, dass der Duftstoff Cembratrienol Blattläuse, Weisse Fliegen und Fruchtfliegen vertreibt. In der Folge akquirierte Thomas Brück mit den beiden Partnern ein grosses Folgeprojekt mit dem Namen «OleoBuild»: Es sieht vor, die Produktion von Cembratrienol auf die ölbildende Hefe Rhodotorula sp. zu übertragen. Das hätte den Vorteil, dass der Ertrag steigen würde und der Duftstoff am Schluss als fertig formuliertes Produkt für eine direkte Anwendung in der Landwirtschaft vorläge. Ende 2019 sollte das nötige Geld zusammen sein.

Eine Hefe als idealer «Host»

Bereits haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den biochemischen Vorgang analysiert, wie Cembratrienol von Tabakpflanzen hergestellt wird. Sie konnten die Gene, die dafür zuständig sind, bestimmen und gentechnisch verändern. So brauchen sie mittlerweile keine Tabakpflanzen mehr einzuführen, um Cembratrienol zu produzieren. Alles geschieht in den Labors der Synthetischen Biotechnologie an der Technischen Universität München (TUM). Durch chemische Modifikationen soll der Wirkstoff noch weiter intensiviert werden, bis er etwa doppelt so stark riecht wie von Natur aus.

Warten auf die EU-Zulassung

Als nächstes folgt die Zertifizierung des Bio-Insektensprays durch die regulatorischen Behörden der Europäischen Union. Diese führen Tests zu Giftigkeit, Stabilität, Abbau, Lagerfähigkeit und anderen Aspekten neuer Agrochemikalien durch. Drei bis fünf Jahre nimmt dieser Prozess in Anspruch. «Mit Zulassungsverfahren haben wir kaum Erfahrung», sagt der Wissenschaftler, «glücklicherweise können wir nun auf das Know-how von Südzucker zurückgreifen, einem der grössten Zuckerproduzenten Europas.» Bei der Entwicklung neuer Produkte ist es auch aus finanziellen Gründen wichtig, grosse Industriepartner an der Seite zu haben. Das Zulassungsverfahren kostet Hunderttausende von Euros. Doch die Investition lohnt sich, da später der gesamte europäische Markt mit dem neuartigen Pflanzenschutzmittel bedient werden kann. 

Kraftstoff aus Algen

Das Team um Thomas Brück konnte 2019 auch bei den ölproduzierenden Algen einen grossen Fortschritt erzielen. Es entwickelte ein Verfahren, das die kontinuierliche Produktion von Kraftstoff aus Algen möglich macht. Das freut den Kooperationspartner Airbus, der an erdölunabhängigem Kraftstoff für Flugzeuge interessiert ist. Ausserdem haben die Forschenden der Synthetischen Biotechnologie ihre Aufmerksamkeit einem «Nebenprodukt» der Algenölproduktion geschenkt: dem Glyzerin. Wenn Algen Fettsäure produzieren, fällt immer auch recht viel Glyzerin an – das Potenzial dieses natürlichen «Nebenprodukts» haben die Forschenden erkannt. Sie entwickelten ein chemisches Verfahren, mit dem Carbonfasern über die Photosynthese der Algen aus CO2 hergestellt werden können. Das Ausgangsmaterial ist Algenöl. Es wird mit Hilfe von Enzymen in freie Fettsäuren und Glycerin aufgespalten. Das Glycerin wird danach chemisch in Polyacrylnitril umgeformt, was das gängige Ausgangsprodukt aller kommerziell erhältlichen Carbonfasern ist. Das neue Verfahren ist zu hundert Prozent emissionsfrei und entzieht der Atmosphäre mehr CO2, als es freisetzt. Wie ist das möglich? Die Ausgangsorganismen sind schnell wachsende Mikroalgen; diese speichern CO2 in Form von Biomasse und binden es unter anderem in Form von Zucker und Algenöl.

CO2-neutrale Carbonfasern

Erfinder Thomas Brück ist begeistert: «Wir können die Carbonfaserherstellung mit unserem Verfahren revolutionieren. Bislang haben Carbonfasern einen schlechten ökologischen Fussabdruck, weil sie energieintensiv und unökologisch aus Petroleumvorstufen hergestellt werden. Wegen des Klimawandels ist es nötig, rasch auf ein CO2-neutrales und ökonomisches Verfahren umzustellen.» Das entwickelte Verfahren zur Herstellung algenbasierter Carbonfasern wurde von einem Forscherteam um Thomas Brück unter technologischen und ökonomischen Gesichtspunkten bewertet. Es zeigte sich klar, dass dieses Verfahren auch industriell umsetzbar ist. Die publizierten Ergebnisse wurden umgehend vom Weltklimareport aufgegriffen und im Kapitel «Substitution und Zirkularität» als eine «systemrelevante CO2-Senke zur globalen Eingrenzung des Klimawandels» zitiert. Für seine Innovation erhielt Thomas Brück ausserdem Ende 2018 den e-ward des European Business Council for Sustainable Energy, einer NGO, die sich für die Umsetzung klimafreundlicher Produktionsprozesse einsetzt.

Grossprojekt «Green Carbon»

Im Juli 2019 konnte Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück ein Grossprojekt zu seiner neuartigen Carbon-Produktionsweise aufgleisen. Es heisst «Green Carbon», wird mit 8,9 Millionen Euro gefördert und umfasst fünf Lehrstühle der TUM: Materialwissenschaften, Technische Chemie, Maschinenwesen, Bioverfahrenstechnik und die Synthetische Biotechnologie. Die Industriepartner von «Green Carbon» sind Daimler Benz, Airbus und SGL Carbon, der grösste europäische Carbonfaserhersteller. «Wir haben das Projekt sozusagen erfunden und koordinieren es», sagt Brück stolz.

Fest, leicht, biegsam

Auch ein mittelständisches Unternehmen spielt beim Grossprojekt «Green Carbon» eine wichtige Rolle: die Firma TechnoCarbonTechnologies des Diplom-Ingenieurs Kolja Kuse, der als Erster Carbonfasern mit Naturstein verband und daraus CO2-negative Bauelemente geschaffen hat. Und solche braucht die Bauindustrie in Zeiten der Klimaerwärmung dringend, verbaut sie doch Gigatonnen von Materialien wie Zement oder Stahl, die das Klima mit CO2 belasten. «Wir haben mit unserer Carbonfaser aus dem Glyzerin der Algen die Möglichkeit, einen relevanten Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten», erklärt Thomas Brück, «indem wir Beton durch Carbon-Stein-Komposite ersetzen.» Als Stein eignet sich vor allem Granit, da er weltweit vorkommt, in Verbindung mit Carbonfasern leicht wie Aluminium ist und sich sogar biegen lässt. Statt dass Bauträger wie bisher aus Stahl und Wände aus Zement gebildet werden, könnten sie in Zukunft aus festem, leichtem und biegsamem Carbon-Granit bestehen. «Grünes» Carbon wäre auch für die Herstellung von E-Bikes, Elektroautos und Flugzeugen eine interessante Alternative.

Endlager in Braunkohlewerken

Auch zur Entsorgung des neuen Werkstoffs hat sich Thomas Brück bereits Gedanken gemacht: Carbon ist nach dem Diamanten die stabilste Form von Kohlenstoff und setzt weder toxische Substanzen frei, noch gast es CO2 aus. Deshalb könnte verbrauchter Carbon-Granit in renaturierten Braunkohle-Tagewerken endgelagert werden, und mit ihm der darin enthaltende Kohlenstoff. «Wir streben umgekehrtes Geo-Engineering an», fasst Brück zusammen. «Es gibt uns die Möglichkeit, CO2-Emissionen ökonomisch nutzbar zu machen und endzulagern – eine revolutionäre Vorstellung!»

Leckere Algenkekse

Etwas kleinere, jedoch nicht minder originelle Brötchen backen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Thomas Brück mit der neusten Produktentwicklung aus der Alge Dunaliella sp., die von allen Algen am meisten Folsäure produziert. Diese Fähigkeit von Dunaliella sp.inspirierte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Thomas Brück zu einem Algenkeks. Das innovative Gebäck weist nicht nur mehr Folat als herkömmliche Kekse auf, sondern enthält auch dreissig Prozent mehr Proteine. Deshalb schmeckt es gut, auch mit halb so viel Zucker wie in vergleichbaren Backwaren. Das Team tischte den Algenkeks dem Bayerischen Müllerbund auf, der sich von der Innovation angetan zeigte. Kein Wunder! Der Algenkeks ist vegan und liegt damit voll im Trend.

Es lohnt sich

Zertifizierungen kosten zwar Zeit und Geld, und nicht immer kommen alle Anträge der Synthetischen Biotechnologie auf Anhieb durch – so wie der Projektantrag an die EU zur Herstellung des Krebsmittels Taxol, der 2019 ganz knapp abgelehnt wurde. Trotzdem ist Thomas Brück überzeugt, dass die Werner Siemens-Stiftung zu Recht in die junge Disziplin investiert: «Die eingesetzten Mittel für den neuen Lehrstuhl Synthetische Biotechnologie und für die Mitarbeitenden haben sich in den letzten zwei Jahren wertmässig mehr als verzehnfacht. Heute sind wir wegweisend in der Entwicklung nachhaltiger Technologien. Mit deren Hilfe können wir CO2 und Restbiomasse in werthaltige Prozesse und Produkte umwandeln – für die Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie sowie für die chemische und pharmazeutische Industrie. Die globale Bedeutung unserer Forschung ist mit der Zitierung im Weltklimabericht klar zum Ausdruck gebracht worden. Wir danken der Werner Siemens-Stiftung, die uns die Freiheit gegeben hat, innovative Ideen in reale Prozesse und Produkte umzusetzen, die einen Mehrwert für die Gesellschaft haben – frei nach unserem neuen Leitspruch ‹Bringing Synthetic Biotechnology to Life›.»

Text: Brigitt Blöchlinger
Fotos: Andreas Battenberg