Erdbeben auf Sparflamme

In Kraftwerken Strom aus Erdwärme zu erzeugen – das ist in der Schweiz bisher noch nicht gelungen. In den USA jedoch schon. Weshalb? Antworten von Martin O. Saar, Geothermie-Professor an der ETH Zürich.

In der Schweiz wird kaum noch ein neues Wohnhaus gebaut, ohne eine geothermische Wärmepumpe einzurichten. Warum braucht es überhaupt noch einen Forschungseffort in der Geothermie?

Martin O. Saar: In der Geothermie unterscheiden wir zwischen der oberflächennahen Nutzung von Erdwärme zum Heizen und der Nutzung der tiefen Wärme für die Erzeugung von Strom. Sie sprechen von Wärmepumpen, also oberflächennaher Geothermie. Bei Wärmepumpen wird kein Strom erzeugt, sondern es wird einfach die im Erdboden gespeicherte Sonneneinstrahlung genutzt. Dies ist ein Spezialfall der Geothermie, der aber in der Schweiz sehr wichtig ist, um Häuser zu heizen – und in südlichen Ländern übrigens auch, um zu kühlen.
 

Wo stehen Deutschland und die Schweiz bei der Nutzung tiefer Erdwärme?

In der Schweiz wird erst seit kürzerem sehr viel Geld in die tiefe Geothermie investiert, und zwar vom Bund. Der geplante Ausstieg aus der Atomenergieund die sogenannte Energiewende haben den Druck erhöht, alternative Energiequellen zu nutzen. In Deutschland ist man mit der geothermischen Energienutzung schon sehr viel weiter. Einerseits wegen der etwas günstigeren Geologie dort, andererseits, weil die Untergrunderkundung und Rohstoffnutzung in Deutschland eine sehr lange Tradition hat. Es ist wesentlich mehr über den Untergrund bekannt, besonders in recht grossen Tiefen. Last but not least ist es in der Schweiz mit den 26 Kantonen, die oft sehr spezifische, eigene Regeln haben, wie der Untergrund genutzt werden könnte, sehr schwierig für Firmen und Investoren, Fuss zu fassen und ein geothermisches Projekt voranzutreiben. Daher wird in der Schweiz die Geothermie bis jetzt noch nicht zur Stromerzeugung genutzt.
 

Die Versuche in Basel und St. Gallen, geothermische Kraftwerke zur Stromerzeugung zu betreiben, mussten wegen der Erderschütterungen abgebrochen werden. Was ist dort schiefgelaufen?

In Basel hat man Flüssigkeiten in einer relativ hohen Dosis in den Untergrund eingepresst und dadurch ein Erdbeben ausgelöst. Es war eigentlich ein kleines Beben, aber es hat doch Schäden an der Erdoberfläche angerichtet. Wenn man Flüssigkeiten in den Untergrund einpresst, ist es klar, dass es Erdbeben gibt. Das Wichtige dabei ist, diese Beben sehr klein zu halten.

 

Im Jura wird gerade wieder ein solches Kraftwerk geplant. Ist die Forschung denn nun so weit, dass die Technologie sicher funktioniert?

In Haute-Sorne ist ein solches petrothermales Kraftwerk, das mit Wassereinspeisung in den Untergrund funktioniert, angedacht. Aber es ist noch nicht sicher, ob es wirklich errichtet wird. Gerade weil man das Trial-and-Error-Prinzip wie in Basel oder St. Gallen nicht mehr möchte, wurden meine Professur und weitere Professuren in der Schweiz eingerichtet. Im Moment arbeiten wir zusammen mit dem «Swiss Competence Center for Energy Research – Supply of Electricity» daran, dass solche petrothermalen Systeme in Zukunft keine grossen Erdbeben mehr auslösen.
 

Und wie machen Sie das? Wie erproben Sie die Dosierung von Erdbeben?

Wir haben dafür ein Experiment im Grimsel-Labor im Nagra-Stollen durchgeführt; die Daten werten wir gerade aus. Den nächstgrösseren Untergrundversuch planen wir im stillgelegten Bedretto-Stollen im Furka-Basistunnel. Dort können wir noch tiefer gehen als die 500 Meter im Grimsel-Stollen: einen bis anderthalb Kilometer unter die Erdoberfläche.
 

Die Schweiz will ab 2035 im Rahmen der Energiewende 12 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Nach Schätzungen müssten dann bereits ein Dutzend Geothermie-Kraftwerke Strom erzeugen. Ist das realistisch?

Das wird extrem schwierig. Im Moment wissen wir ja nicht einmal, ob wir eines hinbekommen. Doch bei der Atomenergie brauchte es zuerst auch sehr viel Forschung, bis man diese Energiequelle nutzen konnte. Petrothermale Systeme werden zwar seit den Siebzigerjahren erforscht – zuerst in den USA –, mit Hochdruck aber erst seit zehn Jahren. Und in der Schweiz gerade einmal seit vier Jahren, abgesehen von den Versuchen in Basel und St. Gallen.
 

Bevor Sie vor zwei Jahren die Professur für Geothermie an der ETH Zürich antraten, waren Sie Professor an der University of Minnesota in den USA. Spielt die dortige Geothermie-Forschung für Sie weiterhin eine Rolle?

In den USA habe ich meinen Master und Doktor gemacht und war danach zehn Jahre Professor. Ich leite dort immer noch eine kleine Forschungsgruppe und habe auch eine Geothermie-Firma mitgegründet. Insofern unterhalte ich viele Kontakte und forsche auch weiterhin in amerikanischen Projekten. Die USA sind global führend mit über 3 Gigawatt Kapazität von Geothermie-Kraftwerken. Das entspricht drei grossen Kohlekraftwerken – was gegenüber den mehr als 600 Kohlekraftwerken im ganzen Land eine verschwindend kleine Zahl ist.
 

Warum gibt es denn so wenige geothermische Kraftwerke?

Es ist eben schwierig, die geothermische Energie in grosser Menge an die Erdoberfläche zu bringen. In den USA befinden sich die meisten geothermischen Kraftwerke aus geologischen Gründen in Kalifornien und Nevada. Dort sind hohe Untergrundtemperaturen recht nahe der Erdoberfläche zu finden, und die seismische Aktivität ist relativ hoch. Die meisten Gebiete der Erde, so auch die Schweiz, bieten das nicht. Da setzen wir mit unserer Forschung an, indem wir versuchen, geothermische Energie auch in bisher ungeeigneten Gegenden für die Stromproduktion nutzbar zu machen.

Interview: Sabine Witt
Fotos: Felix Wey