Foto einer Versuchsanordnung, die den Blutfluss in den Herzkammern simuliert, wenn die Pumpleistung von einem künstlichen Muskel unterstützt wird.
Die Forschenden des Zentrums für künstliche Muskeln haben eine Versuchsanordnung entwickelt, die den Blutfluss in den Herzkammern (links und rechts) simuliert, wenn die Pumpleistung von einem künstlichen Muskel (schwarze Membran in der Mitte) unterstützt wird.

Power für das Herz

Das Zentrum für künstliche Muskeln in Neuenburg entwickelt einen Ring, der um die Aorta gelegt wird und bei Herzschwäche helfen soll, wieder genügend Blut in den Körper zu pumpen. Auf dem Weg zu dieser Weltneuheit konnten im Jahr 2019 wichtige Fragen geklärt werden: zur benötigten Pumpleistung, zum Material und zur Stromversorgung der künstlichen Muskeln.

Das Team um Mikroingenieur Yves Perriard vom Zentrum für künstliche Muskeln (CAM) in Neuenburg hat sich Grosses vorgenommen. Die Forschenden entwickeln eine Membran, die bei Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche als künstlicher Ringmuskel um die Aorta gelegt wird, um das Herz zu entlasten. Die grösste Herausforderung besteht darin, die nötige Pumpleistung zu erzeugen, denn das Herz ist ein starker Muskel. Genau dies ist aber auch ein grosser Vorteil – wie sich nach zwei Jahren Forschung herausgestellt hat. Denn zu Beginn gingen die zehn Forschenden davon aus, dass eine zusätzliche Feder aus Titan um die Membran nötig sein würde, um genügend Druck auf die Hauptschlagader (Aorta) zu erzeugen. Eine entsprechende Feder liessen sie 2019 patentieren. Doch dann konnten die Forschenden in neuen Berechnungen zeigen, dass das Herz auch bei Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche noch so viel Druck auf den Ring ausübt, dass eine zusätzliche Feder gar nicht nötig ist. Das sind gute Nachrichten für Menschen mit Herzschwäche – und für den  Herzchirurgen Thierry Carrel, der den künstlichen Muskel um die Aorta klinisch testen wird.

Das optimale Material

Fortschritte gibt es auch bei der Suche nach dem richtigen Material für die Membran zu vermelden. Klar ist, dass elektroaktive Polymere, die durch das Anlegen einer elektrischen Spannung ihre Form ändern, am besten geeignet sind. Jetzt suchen die Forschenden nach der optimalen chemischen Zusammensetzung und Dicke des Polymers. Sie haben eine vierlagige Membran entwickelt, die derzeit in einer neu entworfenen Versuchsanlage getestet wird. Darin kann unter anderem geprüft werden, wie elastisch ein Polymer ist und wie viel Druck es aushält. Auf der Suche nach dem optimalen Material hat sich Yves Perriard 2019 zusätzliches Know-how ins Boot geholt, in Form einer Kooperation mit der Universität Cergy-Pontoise in Frankreich.

Ein einzelner Ring reicht

Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Stromversorgung der als Ringmuskel fungierenden Membran. Dazu hat Perriards Team im Laufe des Jahres 2019 einen Bauplan der elektronischen Komponenten entworfen. Ausserdem haben die Forschenden eine neuartige Versuchsanlage zur Simulation des Blutflusses im Körper entwickelt (Bild oben). Die Tests und Simulationen konnten eine weitere wichtige Frage klären: Für die nötige Pumpleistung sind nicht mehrere Ringe um die Aorta nötig, ein einzelner Ring (und damit eine einzelne Membran) genügt. Auch dies sind gute Nachrichten für die Patientinnen und Patienten, denn die Operation wird weniger aufwändig sein, wenn nur ein Ring um die Aorta gelegt werden muss. Ein künstlicher Muskel zur Unterstützung des Herzens – das wäre eine Weltneuheit. Die Ambition der Neuenburger Forschenden geht aber noch weiter: Die Membran soll nicht nur bei Herzschwäche helfen, sondern auch als künstlicher Schliessmuskel bei Blasenschwäche eingesetzt werden sowie nach einem Unfall oder einer Brandverletzung den Betroffenen die Kaufunktion und die Mimik zurückgeben.

Text: Adrian Ritter
Foto: Felix Wey