Pumpenprototyp, vorne die Anschlussschnittstellen für die Integration in die Aorta.

Weiche Pumpen für kranke Herzen

Die Fortschritte am Zentrum für künstliche Muskeln am EPFL-Standort in Neuenburg sind eindrücklich. Das Team um Yves Perriard und Yoan Civet hat nun erstmals einen röhrenförmigen künstlichen Muskel entwickelt, dessen Leistung die Durchflussrate im Blutkreislauf des Menschen erreicht.

Das Herz ist eine Hochleistungspumpe. Es drückt und saugt Blut durch den menschlichen Körper – fünf bis sechs Liter pro Minute, unser Leben lang. Bei Menschen, die unter einer Herzschwäche leiden, benötigt es allerdings Unterstützung. Heute verwendete Herzpumpen bestehen aus starren Materialien. Sie belasten die Herzwände, können rote Blutkörperchen zerstören und Blutgerinnsel verursachen.

Das von der Werner Siemens-Stiftung unterstützte Zentrum für künstliche Muskeln (CAM) am Standort Neuenburg der École polytechnique fédérale de Lau­sanne (EPFL) arbeitet an einer Alternative: Die Forschenden um Direktor Yves Perriard und Geschäftsführer Yoan Civet entwickeln diverse Kunstmuskeln aus weichen, enorm elastischen Materialien, die sie mit Elektroden bestücken. Angetrieben von einer Batterie, dehnen und kontrahieren sich diese sogenannten dielektrischen Elastomer-Aktuatoren – genau wie echte Muskeln.

Drei verschiedene Pumpen

Die grosse Herausforderung ist es, mit dieser schonenden Technik eine Pumpleistung zu erreichen, die hoch genug ist, um ein geschwächtes Herz effektiv zu unterstützen. In den letzten Jahren hat das Neuenburger Team auf dem Weg zu diesem Ziel stetige Fortschritte gemacht – und nun sogar eine wichtige Hürde überwunden: Erstmals bauten die Forschenden eine hochelastische Pumpe, die eine Durchflussrate erzeugt, wie sie im menschlichen Kreislauf benötigt wird. Die Resultate der Studie (*) wurden kürzlich im Fachmagazin «Advanced Engineering Materials» publiziert. Die Neuentwicklung schaffte es sogar auf die Titelseite des Fachmagazins.

Die Forschenden konzipierten drei unterschiedliche röhrenförmige Pumpen von jeweils fünf Zentimetern Länge und drei Zentimetern Durchmesser. Die erste Pumpe war ausgelegt für einen relativ tiefen (Blut-)Druck von 15 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg), wie er in der Unteren Hohlvene herrscht. Dieses Gefäss transportiert das Blut aus Beinen, Bauch- und Beckenorganen zurück zum rechten Vorhof des Herzens. Die zweite Pumpe war optimiert für einen Druck von 70 mmHg, was dem unteren Limit in der menschlichen Aorta entspricht. Die dritte Pumpe war ausgerichtet auf die obere Druck-Grenze der Aorta, die 120 mmHg beträgt. Die drei Pumpen unterschieden sich in ihrer Wanddicke, respektive der Anzahl Elastomer-Lagen, die übereinander gelegt werden.

Durchfluss-Rekord gebrochen

«Die höchste Leistung erzielte das Modell für 120 mmHg», erzählt Yoan Civet. Es erreichte eine maximale Durchflussrate von 6,5 Litern pro Minute. Das ist höher als die Blut-Durchflussrate in einem gesunden Menschen, wo das Herz ungefähr fünf bis sechs Liter pro Minute erreicht. Und es ist doppelt bis drei Mal so hoch, wie die bisher in der Fachliteratur genannte Rekord-Durchflussrate von dielektrischen Elastomer-Aktuatoren.

Daneben existiert eine zweite wichtige Kenngrösse der Pumpe: der Förderdruck. Das ist jener Widerstand, den eine Pumpe überwinden kann oder muss, um die Flüssigkeit am Ende des Rohres herauszupumpen. Modell Nummer drei erreichte einen Förderdruck von 27,5 mmHg. Auch das ist beachtlich. «Aber es genügt nicht», sagt Yves Perriard. Bei einer Herzschwäche ist am häufigsten die linke, kräftigere Herzkammer betroffen. Ihr Förderdruck ist wesentlich höher als jener der vom Neuenburger Team hergestellten Pumpe.

«Möglich wären allenfalls Anwendungen auf der rechten Herzhälfte, wo der Druck deutlich tiefer ist», sagt Perriard. Ein Beispiel sind Kinder, die ohne rechte Herzhälfte geboren wurden und bei denen chirurgisch versucht wird, das aus dem Unterkörper zurückfliessende Blut direkt in die Lungenarterien umzuleiten.

Ziel: weitere Verbesserungen

Insgesamt, sagt Perriard, seien die Resultate vielversprechend. Zwar sei das System noch nicht so weit, um im Menschen eingesetzt zu werden. «Aber die Studie ist ein grosser Schritt zu einem besseren Verständnis: Wir haben beispielsweise aufgezeigt, wie sich die Länge und der Aufbau der Röhre und ihre Wandstärke zum erzeugten Druck verhalten.»

Die Forschenden arbeiten bereits auf mehreren Ebenen und mit verschiedenen Methoden daran, ihre Elastomer-Pumpen weiter zu verbessern. Eine der Ideen sei es, ganz bestimmte, verstärkende Fasern in die Aktuatoren einzubauen, welche die Pumpleistung erhöhen könnten, erzählt Yoan Civet. «Ein Postdoktorand, der neu zu unserer Gruppe stösst, wird diese Idee weiterverfolgen.»

Gelingt es, die Leistung der röhrenförmigen Kunstmuskeln noch einmal substanziell zu verbessern, könnten sie durchaus eine Alternative zu herkömmlichen Herzpumpen darstellen. Denn sie verursachen keine hörbaren Geräusche, sind physiologisch verträglich, kompakt und sehr leicht. Die in der Publikation hergestellten und getesteten Systeme etwa wiegen bloss ungefähr 25 Gramm. Zudem beträgt ihr Energieverbrauch 258 Milliwatt bei 5 Kilovolt Spannung, während motorbetriebene Herzunterstützungssysteme oft mehrere Watt benötigen.

Laut den beiden Forschern sind auch Anwendungen ausserhalb des Herzkreislaufs vorstellbar, denn im menschlichen Körper gibt es verschiedene Vorgänge, die von Pumpen abhängig sind. So könnten die Kunstmuskeln beispielsweise bei betroffenen Menschen die Kontraktionen des Darmes unterstützen oder den Lymphfluss durch den Körper anregen.

> *Link zur Studie