Nachhaltige Katalysen

Direkte Synthesewege, Katalysatoren aus häufigen Metallen, Strom und Licht statt Gas und Öl: Das WSS100-Finalprojekt RenewSusCat schlägt vor, die chemische Industrie mithilfe diverser innovativer Techniken nachhaltig zu machen. 

Rund 30 Prozent des industriellen deutschen Energieverbrauchs entfallen auf die chemische und die pharmazeutische Industrie – ein grosser Teil ist fossile Energie. Ein Team um Lutz Ackermann von der Georg-August-Universität in Göttingen hat für seinen WSS100-Antrag ein Konzept ausgearbeitet, um diese beiden Wirtschaftszweige nachhaltiger zu machen. Im Zentrum stehen Katalysen – Techniken, welche die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen erhöhen und sogar komplett neue Reaktionen ermöglichen. An nahezu neun von zehn industriellen chemischen Prozessen sind Katalysen beteiligt.

Das Projekt «RenewSusCat», an dem auch Forschende der Universität Münster und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg teilnehmen, schlägt zwei Forschungsstränge für die Dekarbonisierung der chemischen Industrie vor: Zum einen die Entwicklung neuer, innovativer Katalysen, die weniger Energie und Rohstoffe verbrauchen und bei denen weniger Abfallprodukte entstehen. Zum anderen den Einsatz von erneuerbarer Energie statt fossiler Energie für solche Reaktionen.

Um chemische Synthesen effizienter zu machen, verfolgen die Forschenden beispielsweise den Ansatz, die Anzahl der Zwischenschritte zu verringern. «Um einen typischen Arzneiwirkstoff herzustellen, benötigt man heute häufig mehr als zehn Syntheseschritte», sagt Lutz Ackermann. Anhand mehrerer Beispiele haben er und seine Forschungsgruppe nachgewiesen, dass sich solch langwierige Herstellungsprozesse vermeiden lassen, wodurch gleichzeitig der Einsatz chemischer Reagenzien aus fossilen Quellen minimiert wird.

Weniger Lösungsmittel

Eine Schlüsselstelle nimmt dabei eine Reaktions-Technik namens C-H-Aktivierung ein. Bindungen zwischen Kohlenstoff (C) und Wasserstoff (H) bilden das Rückgrat organischer Moleküle. Allerdings ist die Bindung zwischen diesen beiden Atomen stark, es ist deshalb schwierig, sie selektiv aufzubrechen. Gelingt es aber, ermöglicht es das direkte Andocken von funktionalen Gruppen, welche die Eigenschaften des Moleküls entscheidend verändern.

Es handelt sich um ein enorm breit anwendbares Werkzeug, weil Kohlenstoff-Wasserstoff-Verbindungen derart allgegenwärtig sind. So haben Ackermann und sein Team gezeigt, dass sich aus einer Vorläuferstruktur in jeweils nur einem Umwandlungsschritt mehrere mögliche Wirkstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen lassen. «Indem wir die Anzahl der Syntheseschritte drastisch verringern, sparen wir nicht nur Zeit, sondern auch grosse Mengen an Lösungsmitteln und chemischen Abfallprodukten», sagt Ackermann.

Um chemische Prozesse möglichst klimaneutral zu machen, wird es aber zusätzlich unabdingbar sein, die dafür benötigte Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. «Heute werden die meisten Reaktionen thermisch, unter Erhitzung durchgeführt, also mit Gas und Öl», sagt Lutz Ackermann. Als Alternative setzt er auf zwei Methoden: die Elektrokatalyse und die Photokatalyse.

Wasserstoff als Nebenprodukt

Bei der Elektrokatalyse wird Strom als Treiber für chemische Aktivierungsprozesse benutzt. «Normalerweise lassen sich solche Reaktionen bei Raumtemperatur durchführen» sagt Lutz Ackermann. Chemische Reagenzien werden durch Protonen und Elektronen ersetzt. Und die Synthese von Molekülen für die Medizin oder den Pflanzenschutz wird gekoppelt mit der gleichzeitigen Produktion von Wasserstoff als einzigem Nebenprodukt. Der Wasserstoff kann als nachhaltiger Energieträger weiterverwendet werden.

«Diese Koppelung macht solche Synthesen auch wirtschaftlich höchst attraktiv», sagt Ackermann. Eine seiner langfristigen Ideen ist es, mittels Elektrokatalysen den weltweiten Bergen von Plastikmüll zu Leibe zu rücken – also Kunststoffe wie Polyethylen oder Polystyrol unter Abscheidung von Wasserstoff zu wiederverwendbaren Polymeren abzubauen.

Die Photokatalyse wiederum nutzt die Energie des Lichtes, um chemische Reaktionen mit einem Katalysator zu beschleunigen. Heute, erzählt Ackermann, werde dazu in der Forschung oft mit besonderen LED-Quellen gearbeitet. Ziel ist es, solche Reaktionen dereinst mit Sonnenlicht antreiben zu können.

Daneben hat «RenewSusCat» eine ganze Reihe von weiteren Pfeilern im Köcher, um chemische Prozesse nachhaltiger zu machen. Ein Beispiel: das Ersetzen von kostbaren, oft toxischen Katalysator-Metallen wie Palladium, Rhodium oder Iridium durch günstigere, besser verfügbare und weniger toxische Materialien wie Nickel, Kupfer, Mangan oder sogar Eisen.

Oder der Einsatz von Softwareanwendungen, die mittels künstlicher Intelligenz chemische Reaktionen bewerten. Damit lässt sich voraussagen, welche neuen Katalysatoren und Synthesewege erfolgversprechend und nachhaltig sind. «Die molekularen Datenwissenschaften werden oft noch stiefmütterlich behandelt», sagt Lutz Ackermann. Aber er ist überzeugt: Sie werden mithelfen, dass die Chemie in Zukunft die ganze Klaviatur ihrer Möglichkeiten ausschöpfen kann, um nachhaltige Produkte zu produzieren.